«Bei Rolex bin ich heute noch ein bisschen nervös»

Rolex und Beyer – seit 1932: Kein Unternehmer prägte René Beyer mehr als André Heiniger, Rolex-Chef von 1963 bis 1992. Visiten bei ihm glichen Staatsbesuchen. Und seine Antworten brannten sich dem jungen René Beyer für immer ein.

Jedes Mal bekam er einen neuen Anzug, eine neue Krawatte, glänzende Schuhe und musste zum Coiffeur: Ein Besuch bei Rolex war für René Beyer schon als Bub eine feierliche Ange- legenheit. Im Auto der Eltern herrschte eine Mischung aus Angst, Neugier und Vorfreude. Dem kleinen René und seiner Schwester Muriel war klar: Das hier ist wichtig. Also ganz anständig sein. Noch mehr als sonst schon. Denn als Nachwuchs stand man beim mächtigen Rolex-Patron für nichts weniger als die Zukunft des Familienbetriebs.

René Beyer: «Wir wurden von einer Vorzimmerdame zur nächsten geführt, vom Erdgeschoss bis in die Direktionsetage. Das war wie ein Ritual. Zuoberst dann diese unglaublich edle Ausstattung mit der Bar, dem persönlichen Butler, dem Speisesaal der Direktoren und dem separaten Esszimmer von Herrn Heiniger. Das hat mich tief beeindruckt. Die Uhren an den Wänden zeigten die Zeitzonen der Rolex- Filialen auf allen Kontinenten. Für mich waren sie wie Fenster in die grosse, weite Welt.»

Dass die Familie Beyer überhaupt ins Königreich von Rolex geladen wurde, hatte zwei Gründe: René Beyer‘s Vater Theodor leistete unter André Heiniger Militärdienst im Rang eines Gefreiten. Und schon mit Rolex-Gründer Hans Wilsdorf verband die Familie Beyer eine tiefe Freundschaft: Man hatte ihm tatkräftig beim Aufbau der Marke geholfen. Trotzdem waren die Einladungen aussergewöhnlich: André Heiniger tafelte nur mit persönlichen Freunden. Diese Ehre konnte man sich nicht erkaufen. Neben den Beyers wurde sie einem einzigen anderen Schweizer Händler zuteil.

«Das Gebäude war umgeben von Wasser, wie ein Schloss, in dem André Heiniger als eine Art Sonnenkönig regierte. Im Gegensatz zu anderen Uhrenpatrons zelebrierte er den Luxus. Entsprechend kursierten Anekdoten: Wenn er nach Florida golfen ging, soll er den Kellnern die Uhren abgenommen und in einen Drink getaucht haben. Waren sie undicht, 36 schenkte er den Kellnern eine Rolex. André Heiniger war ein unglaublich charismatischer Mensch, ein Lebemann, der auf jede Frage eine Antwort wusste. Er sprach direkt, undiplomatisch und für jeden verständlich. Kam das Gespräch auf seine Mitbewerber, donnerte er jeweils: „Man sollte sie zerquetschen wie Fliegen!“ Das gefiel mir als Bub besonders gut.»

Später, als junger Mann, suchte René Beyer hin und wieder väterlichen Rat bei Heiniger. Denn fragen durfte man ihn alles – solange man die Antwort nicht scheute. Bei einer Flasche «Yvorne de l’Ovaille» und Bündnerfleisch wurde dis- kutiert, manchmal nur zu zweit an diesem riesigen, opulenten Esstisch, Heiniger immer am oberen Ende. Und was der junge René Beyer hörte, brannte sich ihm auf ewig ein.

«Ich fragte ihn nach seinem Erfolgsrezept, er sagte: „Von hundert guten Ratschlägen 99 radikal verwerfen, um den einen Weg zu finden, den man dann mit aller Konsequenz verfolgt.“ Ein anderer Grundsatz lautete: „Im Zweifelsfall lieber nichts machen als etwas, das man im Nachhinein bereut.“ Er riet mir auch, wenige Uhrenmarken zu vertreten, dafür die richtigen. Und nicht in unnötigen Aktionismus zu verfallen, bloss um wieder mal etwas gemacht zu haben. Mit seinem Rat bin ich kein einziges Mal schlecht gefahren.»

Die erste Uhr als erste Liebe.

Obwohl René Beyer die Vielfalt verschiedener Uhren und Labels mag, schlug sein Herz immer und ganz besonders auch für die grün-goldene Marke mit der Krone. Schliesslich war seine erste «richtige» Uhr eine Oysterquartz Datejust. Er bekam sie zur Konfirmation und trug sie während seiner Ausbildungszeit, später im Militär und während der Lehr- und Wanderjahre in den USA. Auch heute noch ruht sie in seiner Nähe: Ein Griff in den Karton mit seinen vielen in Plastiksäcklein verpackten Uhren, schon hält er sie in der Hand. Den Blick, mit dem er sie betrachtet, könnte man durchaus als verliebt bezeichnen.

«Keine andere Uhr hat mich so viele Jahre begleitet. Sie ist ein Teil von mir – beinahe eine Art Zeitmaschine: Ihr Anblick versetzt mich in diese wichtige Phase damals, in diese Aufbruchstimmung. Wahrscheinlich würde ich sie jetzt noch hin und wieder tragen, müsste ich mich nicht aus beruflichen Gründen an Uhren aus aktuellen Kollektionen halten – die natürlich ebenfalls wunderschön sind.»

Heute, als Kenner der Uhrenbranche, ist es die weitsichtige Politik von Rolex, die René Beyer am meisten fasziniert. Dass wichtige Entscheide und Beziehungen immer langfristig angelegt werden, um mit den Partnern zu wachsen. Und natürlich imponiert ihm auch der technische Vorsprung der Manufaktur.

«Rolex hat die ersten Roboter zum Polieren von Uhren entwickelt, was sonst überall noch von Hand gemacht wird. Diese Roboter sind so unglaublich genau: Würde man ihnen Musikinstrumente in die Hände geben, spielten sie exakter als jedes Orchester. Rolex ist ein Faszinosum und der Branche technisch astronomische zehn Jahre voraus. Darum ist ein Besuch bei Rolex für mich auch heute noch etwas vom Eindrücklichsten. Und wenn ich ehrlich bin: Ein bisschen nervös bin ich dann noch immer.»

Text: Matthias Mächler
Fotos: Mathias Zuppiger

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