Der zerbrochene Ring

Als ihr Verlobungsring in zwei Teile bricht, ist Adrienne Schneider erschüttert. Dann beschliesst sie, den vier Generationen alten Schmuck für eine fünfte neu zu denken.

Es war ein eisiger Winterabend in Davos, kurz vor Weihnachten. Kräftiger Wind blies Adrienne Schneider durchs Haar, sie wollte nur noch rein in die warme Stube. Der Mann an ihrer Seite hatte andere Pläne. Mitten im Schneegestöber ging er auf die Knie und machte ihr einen Heiratsantrag. Den Ring, den er ihr entgegenstreckte, konnte sie erst gar nicht erkennen. Wie sie später erfahren sollte, war er ein Erbstück seiner Urgrossmutter. «Das hat mich besonders gerührt. Ein derart altes Schmuckstück ist aufgeladen mit den Spuren der Zeit und den Geschichten der Vorfahren», sagt die Zahnärztin aus Baden und fügt hinzu: «Für mich ist Tradition generell wichtig. Sie gibt mir Sicherheit, Halt – und sie ist mit ein Grund, warum ich 2018 den elterlichen Betrieb übernahm und die Praxis in dritter Generation führe.»

Ihren Verlobungsring trug Adrienne Schneider seit diesem Abend täglich. Wobei «nächtlich» es fast besser trifft. «Während meiner Arbeit lege ich allen Schmuck ab und ziehe ihn erst nach Feierabend wieder an – bis zum nächsten Morgen», erzählt sie. Knapp zehn Jahre hat der Ring sie begleitet und einiges mitgemacht, zwei Geburten und viele Sandburgen, Spielplätze und Schwimmlektionen. Doch die Spuren der Zeit zeigten sich immer deutlicher, irgendwann hielt der Ring den Strapazen des Alltags nicht mehr stand und zerbrach in zwei Teile.

Nach dem ersten Schock war der Besitzerin klar, dass ihr Schatz wiederhergestellt werden muss. Sie wusste auch sofort, wo. «Schon als Kind war ich mit meinem Vater bei Beyer gewesen, um die Uhr zur Revision zu bringen. Als ich später in Zürich studierte, übernahm ich diesen Gang für ihn. Jetzt benötigte ich von Beyer einen besonderen Rat.»

Der stellvertretende Leiter des Schmuckateliers, Željko Gregurek, musste sie aber erst einmal enttäuschen: Eine Reparatur respektive Restauration des Rings war unmöglich. «Das Kleinod war in einem äusserst schlechten Zustand, vor allem den Diamanten sah man die Spuren der Zeit deutlich an», erinnert sich Gregurek. Doch der Saphir-Cabochon, ein absoluter Eye- Catcher, sollte entsprechend seiner Geschichte und seiner Bedeutung wieder gebührend in Szene gesetzt werden.

Das Schmuckatelier fertigte vier Entwürfe an, zwei dem ursprünglichen Ring ähnliche Art-déco-Modelle, eines davon geradliniger, das andere verspielter, ausserdem eine sportliche Variante und eine prunkvolle. «Ich ahnte, für welches Modell sich die Kundin entscheiden würde», lacht Gregurek. «Es war auch der Favorit von uns Goldschmieden.»

Frau mit Schmuck

CHARMANTE EXTRAVAGANZ

Er sollte recht behalten: Adrienne Schneider verliebte sich sofort in den Entwurf des geradlinigen Art-déco-Rings. In den folgenden Monaten besuchte sie das Schmuckatelier regelmässig: «Ich bin glücklich, dass ich diesen Prozess so nah begleiten durfte.»

Auch die Goldschmiede selbst tauschten sich immer wieder angeregt über die bestmögliche Umsetzung der fein gezeichneten Details aus. «Oft gibt es unterschiedliche Überlegungen, wie ein Entwurf umgesetzt werden kann. Das sind Situationen, die meine Kollegen und ich besonders lieben», sagt Željko Gregruek. «Dann dürfen wir kreativ werden, um das bestmögliche Resultat zu erzielen.» Und so wurden Details skizziert, das Gerüst geschmiedet, nach passenden Diamanten gesucht. Aus der Idee wurde immer mehr ein konkretes Kunstwerk.

Eine wichtige Innovation, die man gar nicht sieht, ist die in der Schiene eingelassene feine Klammer. Dadurch passt sich der Ring perfekt dem Finger an und kippt nicht zur Seite: Der Saphir darf sich stets eines vollendeten Auftritts gewiss sein. Ein weiteres Highlight sind all die fein verarbeiteten Details wie die Art-déco-Elemente, die zum Teil erst im gefassten Zustand hinzukamen, oder der dezente Luftschlitz zwischen dem Saphir und der Ringschiene, der dem Bijou eine spielerische Leichtigkeit verleiht.

76 ARBEITSSTUNDEN

Rund ein halbes Jahr und 76 Arbeitsstunden nach dem Erstgespräch streift sich Adrienne Schneider ihren neuen «Verlobungsring » erstmals über den Finger. Der blau funkelnde Saphir thront auf der Schiene in Weissgold und wird von 144 kleinen Diamanten in vier verschiedenen Grössen hofiert – ein Meisterwerk, da ist sich Adrienne Schneider sicher. «Ich könnte mir keine schönere Anmutung und keine passendere Form vorstellen für das Weiterbestehen dieses Rings», schwärmt sie.

Und heimlich hofft sie, dass der Ring auch ihre Nachkommen begeistern wird: «Vielleicht macht ja dereinst einer meiner Söhne damit seiner Liebsten einen Heiratsantrag. Dann würde die lange Geschichte dieses Rings nochmals um ein Kapitel reicher.»

Vintage Ring

Beyer Chronometrie