Nonchalant legt Daniel Hope seinen Violinkasten ein paar Meter neben sich auf die Sitzbank. Im blauen Nylonkoffer liegt ein Kunstwerk, über dessen Wert sich Hope beharrlich ausschweigt. Er durfte sich eine Geige aussuchen im Auftrag einer deutschen Familie, die anonym bleiben möchte. Was für sie eine Investition war, wurde für Hope zu «meinem Herz und meiner Seele»: Er wählte eine Guarneri del Gesù aus dem Jahr 1742. Auf dem Instrument hatte einst Karol Lipiński gespielt, von dem Niccolò Paganini, der Teufelsgeiger himself, gesagt haben soll: «Wer der beste Geiger der Welt ist, weiss ich nicht. Aber der zweitbeste ist Lipiński.»
Wo auf der Weltrangliste Daniel Hope steht, kann wohl niemand festlegen – weit oben, da ist man sich einig. Aber was vielleicht noch wichtiger ist: Kaum jemand schafft es, klassische Musik derart vielen Menschen zugänglich zu machen, wie der Leiter des Zürcher Kammerorchesters. Jetzt faltet er die Finger und schaut mit freundlich-aufmerksamem Blick. Er hat ein Gesicht, das nie weit von einem Lachen entfernt ist.
«GLAUBEN SIE KEINEM KÜNSTLER,
DER SAGT, ER HABE KEIN LAMPENFIEBER!»

Herr Hope, die Geige ist kein Instrument, das von Anfang an gut klingt. Wie war das für Sie: Gab es Momente, wo Sie selber daran zweifelten, dass das jemals etwas wird?
Der Anfang war sowieso interessant. Wir gingen zu einer Geigenlehrerin, Sheila Nelson in London. Sie schaute mich an, ich war erst vier Jahre alt, und meinte zu meinen Eltern: Kommt in einem halben Jahr wieder, er ist zu klein. Daraufhin bin ich durchgedreht und habe nur noch geschrien. Sie gab mir die kleinste Geige, die sie hatte, zeigte mir, wie man sie hält, und ich habe losgelegt. Das muss furchtbar geklungen haben, aber ich habe mich nie mehr von diesem Weg abbringen lassen. Die Eltern mussten definitiv einiges aushalten. (Lacht.)
Es gab nie Momente, wo Sie aufgeben wollten?
Das nicht, aber harte Momente gab es viele. Zum Beispiel Kinder, die fünf Jahre jünger waren als ich und mich an die Wand spielten, oder später, als ich ein Jahr lang für kein einziges Konzert gebucht wurde. Aber ich war überzeugt, dass ich etwas zu sagen habe, und kämpfte dafür.
Es braucht unglaublich viel Übung, um so gut zu werden, und Geduld ist bekanntlich nicht unbedingt eine kindliche Stärke. Wie erklären Sie sich, dass Sie diesen Biss hatten?
eine Familie war arm, ich hatte kaum Spielzeuge. Es gab drei Kanäle im Fernsehen, und mit ein wenig Glück einmal in der Woche etwas, was mich interessierte. Als ich realisierte, dass ich dieses Instrument zu spielen imstande war, überwältigte mich eine unglaubliche Faszination, dass ich selber etwas produzieren kann.
Sie haben zwei Söhne – müssen Sie die oft daran erinnern, dass es sich lohnt durchzubeissen?
Die Zeiten heute sind halt andere, die Kids denken eher in 15-Sekunden-Clips. Meine Söhne haben mehr Möglichkeiten als ich damals und den Luxus, auch mal etwas ausprobieren zu können und dann wieder sein zu lassen. Zum Glück entwickeln sie langsam ihre Leidenschaften. Der Ältere ist besonders talentiert, was Video und Film angeht, und der Fünfjährige malt gern und ausdauernd.
Lernten Sie früher leichter als heute? Oder generell: Was wird mit der Zeit einfacher, was schwieriger?
Ein neues Stück zu lernen, bleibt mehr oder weniger dasselbe. Was hingegen schwieriger wird, ist das Reisen, der Jetlag. Einfacher wird die Sache mit dem Lampenfieber. Glauben Sie keinem Künstler, der sagt, er habe keines! Aber mit den Jahren wird der Umgang mit der ganzen Aufregung einfacher.
Was machen Sie vor einem Konzert?
Die letzte halbe Stunde macht mich fertig. Wenn ich höre, dass die Leute im Saal sind, will ich nur noch raus und spielen.
Ist so ein Konzert eigentlich auch körperlich anstrengend?
In der Tat. Ich spiele in den meisten Fällen im Stehen – so wie das ganze ZKO, seit ich hier bin: weil eine ganz andere Dynamik entsteht. Neulich hatten wir dreizehn Konzerte hintereinander, es war heiss, voll, zweieinhalb Stunden jeden Abend. Es ist wie Sport. Gerade Verspannungen im Nacken gehören dazu.
Sie sind ein äusserst viel beschäftigter Musiker – wie kriegen Sie alles unter einen Hut?
Es ist eine Frage der Planung. Ich habe ein tolles Team, meine Mitarbeitenden arbeiten extrem engagiert – und schlagen jedes Mal die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ich wieder mit einer neuen Idee ankomme. Zu meinem Team zähle ich übrigens auch die Familie, vor allem meine Frau, die den Laden so fantastisch zusammenhält. Die Familie hat immer Priorität, das ist völlig klar. Ich arbeite zum Beispiel nie in den Schulferien der Kinder oder wenn sie Geburtstag haben.
Ich habe gelesen, dass Sie auch mal im Flugzeug üben.
Ja, das ist schon vorgekommen. Auch am Flughafen oder im Zug habe ich schon gespielt, nur ganz leise natürlich.
Und dann kommt niemand und wirft Ihnen eine Münze hin? (Lacht.)
Nein, meistens hat sich in diesen Fällen jemand vom Team vor mich gestellt, damit ich nicht zu sehr auffalle.
Wie verändert sich ein Stück, das man über Jahre, Jahrzehnte spielt?
Die Phrasierung, die Tempi, das verändert sich enorm. Natürlich auch durch das jeweilige Ensemble, mit dem man spielt. So wird einem ein Stück nie langweilig.
Was denken Sie, welches Stück werden Sie am Ende Ihres Lebens am meisten gespielt haben?
Vermutlich die «Vier Jahreszeiten» von Vivaldi. Oder die Violinkonzerte von Bach, das Violinkonzert von Beethoven oder das Violinkonzert in E-Moll von Mendelssohn. Hunderte, wenn nicht Tausende Male habe ich diese Stücke bereits gespielt.
Was machen Sie denn in Ihrer freien Zeit?
(Lacht.) Mich entspannen.
Auf dem Sofa liegen?
Durchaus. Und wir lieben es, ins Kino zu gehen. Das haben wir unseren Kindern beigebracht. Gerade jetzt, wo alles auf kleinen Bildschirmen läuft, ist Kino grossartig: ein riesiges Bild, es ist dunkel, Popcorn, zwei Stunden ohne Ablenkung. Ansonsten lese ich gern, gehe mit dem Hund raus; Hauptsache, spontan, chaotisch, einfach freie Zeit – mit Betonung
auf frei und unverplant.
«GERADE JETZT,
WO ALLES AUF KLEINEN BILDSCHIRMEN LÄUFT,
IST KINO GROSSARTIG.»
Nehmen Sie sich auch Auszeiten von der Musik?
Ja, absolut. Es ist allerdings schwierig, danach wieder anzufangen: Die Finger, die Muskulatur … Ich brauche inzwischen zwei Tage, bis ich wieder drin bin. Von wegen, was schwieriger wird mit der Zeit. (Lacht.)
Für viele Menschen fühlen sich klassische Konzerte lang an – vor allem für Neulinge. Kommen Sie in Kontakt mit solchen?
Es passiert oft, dass mir jemand nach dem Konzert sagt: «Das war übrigens mein Erstes – und sicher nicht das Letzte!» Ich freue mich über jeden Menschen, der klassische Musik für sich entdeckt.
Gibt es Abende, wo sich die Zeit auch für Sie dehnt?
Seit einigen Jahren habe ich das Privileg, entscheiden zu können, was und mit welchem Ensemble ich spiele – rein musikalisch kann Langeweile also nicht passieren. Aber natürlich gibt es schlechte Tage oder Konzerte, wo das Publikum nicht von Anfang an mitgeht. Die fühlen sich durchaus zäh an. Im Orchester ist das sofort spürbar. Alle arbeiten dann noch härter, um die Connection zum Publikum doch noch herzustellen.
Tut es weh, wenn der Applaus zu kurz ausfällt?
Nein, weh nicht. Es ist eher ein Ansporn, es beim nächsten Mal noch besser zu machen.
Wir haben mit dem Anfang Ihres Lebens und Ihres Geigenspiels begonnen, hören wir mit dem Ende auf: Welches Stück verkörpert Sie so sehr, dass es an Ihrer Beerdigung gespielt werden soll?
Hm, keine einfache Frage. (Überlegt kurz.) Ich würde sagen die «Cantique de Jean Racine» von Fauré.

BEYER UND DAS ZÜRCHER KAMMERORCHESTER
Zwei Zürcher Institutionen haben sich gefunden:
Seit 2023 unterstützt die Beyer Chronometrie das Zürcher Kammerorchester
als Exklusivpartner des ZKO-Festivals mit Daniel Hope.
zko.ch