SOLLTE DAS UHRENHANDWERK IN DER
SCHWEIZ EINE ZUKUNFT HABEN,
MUSSTE ES SICH DER INTERNATIONALEN
ENTWICKLUNG ANPASSEN.
Natürlich veränderte die Industrialisierung die Welt nicht von einem Tag auf den anderen. Und doch wirkt es rückblickend, als ob Ende des 19. Jahrhunderts die Fabriken in unseren Breitengraden nur so aus dem Boden schossen. Stellten die Menschen bis dahin von Hand her, was zum Leben nötig war, gelang es etwa dank ausgeklügelter Dampfantriebssysteme plötzlich, Massen von Gebrauchsgegenständen maschinell zu produzieren.
Diese Revolution wirkte sich auf alle Bereiche des Lebens aus, auch auf die Uhrmacherei. 1867 stellte der Deutschschweizer Uhrmacher Georges Frédéric Roskopf an der Pariser Weltausstellung seine Taschenuhr «La Prolétaire» vor. Sie gilt als eine der ersten industriell gefertigten Uhren und war dank eines vereinfachten Uhrwerks mit lediglich 57 Einzelteilen für die breite Bevölkerung erschwinglich – sozusagen die Swatch von damals. Ihr Preis von 20 Franken entsprach dem wöchentlichen Lohn eines Arbeiters. War es bislang nur gut betuchten Menschen möglich gewesen, eine Tischoder Pendeluhr zu erwerben, ebnete Roskopf den Weg für eine «Uhr für alle».
Zuweilen liessen die neuen Möglichkeiten die Hersteller geradezu euphorisch werden und animierten sie zu speziellen Kreationen. Ein Beispiel für diese Begeisterung ist die im Uhrenmuseum Beyer ausgestellte Tischuhr in Form einer Dampfmaschine. Auf der anderen Seite machte sich Unmut breit. Die Uhrmacherei sei nicht einfach ein Handwerk, um Instrumente zu bauen, mit denen man die Zeit ablesen könne, hiess es etwa. Uhrmacher seien Künstler und ihre Objekte an Raffinesse nicht zu übertreffen!
Aus dieser Ecke entwickelten sich die sogenannten Cabinotiers. Sie waren auf einzelne Teile von Uhren spezialisiert und arbeiteten in kleinen Werkstätten (cabinets), typischerweise in Dachgeschossen von Genfer Geschäftshäusern. Dort war man gleichberechtigt, Chefs und Hierarchien gab es keine. Jeder Arbeiter war sein eigener Herr, und mancher Cabinotier hatte als Spezialist ein schönes Auskommen.
Das Leben als einfacher Uhrmacher in der Fabrik sah dagegen eher düster aus. In Reih und Glied eingepfercht zwischen lauten Maschinen und anderen Angestellten, vollzogen die Arbeiter Tag für Tag die immer selben Handgriffe. Die Künstler verkamen zu Handlangern.
DAS LEBEN ALS EINFACHER
UHRMACHER IN DER FABRIK
SAH EHER DÜSTER AUS.
Doch die Industrialisierung war nicht aufzuhalten: Sollte das Uhrenhandwerk in der Schweiz eine Zukunft haben, musste es sich der internationalen Entwicklung anpassen. In den 1930er-Jahren arbeitete in der Uhrenbranche die grosse Mehrheit der Angestellten in einer Fabrik. Aber auch zahlreiche kleine Unternehmen überlebten. Und das, so heisst es, war in erster Linie auf den durchaus ausgeprägten Stolz der Uhrmacher zurückzuführen.
Die Zeiten und Produktionsweisen mögen sich geändert haben. Der Uhrmacher aber bleibt ein besonderer Arbeiter, der kleine Wunderwerke kreiert.

DER LEUCHTTURM
Wann genau und wo diese Tischuhr hergestellt wurde, ist nicht überliefert. Aber sie gilt als typische Zeitzeugin der Industrialisierung. Neben Leuchttürmen waren vor allem Lokomotiven und Schiffe beliebte Sujets.
DIE DAMPFMASCHINE
Hergestellt um 1875 in Paris, huldigt die Uhr dem Zeitgeist. Neben einem Stundenzifferblatt verfügt sie über ein Quecksilberthermometer und ein Barometer. Mehrere Exemplare dieser Tischuhr wurden damals vom Hof von Konstantinopel bei Beyer bestellt.


DER FESSELBALLON
Beim Ballon mit Fahnen, Korb und Anker aus massiver Bronze handelt es sich um eine ausserordentlich seltene Tischuhr (Frankreich, um 1880). Das Zifferblatt verfügt über emaillierte Kartuschen, im Innern tickt ein spezielles Pariser Uhrwerk mit Halbstundenschlag.
DIE VOLKSUHR
Die Roskopf-Taschenuhr aus Neusilber mit Stoppvorrichtung (um 1910) zeigt die Stunden der ersten und der zweiten Tageshälfte an. Das machte sie insbesondere beim Bahnpersonal beliebt: Die Zeiten konnten direkt in der Fahrplan-Terminologie abgelesen werden.

WELTBERÜHMTE SAMMLUNG
Das Uhrenmuseum Beyer birgt eine der bedeutendsten Sammlungen der Welt. Es ist Montag bis Freitag von 14 bis 18 Uhr geöffnet.