Ein bisschen ist es mit Uhrmachern wie mit Chefköchen. Oft verstehen nur sie wirklich, aus welchen Zutaten in welcher Kombination und unter welchen Gegebenheiten ein kleines Wunder funktioniert oder eben nicht. Und meist bleiben sie lieber bescheiden im Hintergrund, während ihre Leistung von anderen verkauft wird.
Julius Breyer scheint wie der Prototyp eines solchen Uhrmachers. Der Drittlehrjahrstift ist nicht nur ein stiller Mensch, sondern auch einer mit viel Ruhe. Wenn er auf eine Frage antwortet, tut er das erst, wenn die Antwort ihm gedanklich genug gedrechselt erscheint, um sie druckfrisch über die Lippen zu schicken. Dabei ist kein Wort zu viel und keines zu wenig, gerade so, wie er sich auch das Endprodukt seiner Arbeit vorstellt. An seinem Etabli spannt er einen Rohling aus gebläutem Hartmetall in die Handdrehbank, winzig wie ein Staubkorn. «Daraus werde ich eine 0,33 Millimeter grosse Welle für einen Anker drehen », sagt er, als wäre das so einfach, wie eine gute Salatsauce zuzubereiten.
TRAINING UNTER SELBSTHYPNOSE
Seine Fokussiertheit verdankt Julius Breyer nicht nur seinem Naturell, sondern auch seinem Hobby, dem Armbrustschiessen. Bei den letzten Schweizer Meisterschaften wurde er Siebter. Das regelmässige Training hilft dem Achtzehnjährigen auch im Beruf: «Wenn ich mit ruhiger Hand eine hauchdünne Spiralfeder ansetze oder im Zehntelmillimeterbereich eine fast unsichtbare Erhebung abfeilen muss, versetze ich mich wie beim Schiessen in eine Art Selbsthypnose. Dann befinde ich mich in einem Tunnel und bin absolut konzentriert, absolut ruhig. Ich liebe diesen Zustand.»

Dass er dereinst den Beruf des Uhrmachers ergreifen könnte, hat Julius Breyer selbst überrascht. Daheim waren weder Uhren noch andere Statussymbole ein Thema. Der grösste Luxus im Leben schien ihm sein Velo. Auch Lego mochte er, je filigraner, desto besser, und je schwieriger die Herausforderung, desto cooler. Als in der Schule Schnupperlehren anstanden, wusste er immerhin, dass es etwas Handwerkliches werden soll. Polymechaniker empfand er dann aber als zu grob. Über den Mikromechaniker kam er auf den Uhrmacher – und dank guter Leistungen zu einer Lehrstelle bei Beyer.
«Seither mache ich mehrmals die Woche eine Entdeckung», schwärmt Julius Breyer. «Seit drei Jahren befinde ich mich wie in einem grossen Puzzle, und jedes Teilchen, das einen neuen Zusammenhang herstellt, bedeutet einen Kick. Es ist wie ein Rausch, man kann fast nicht aufhören.» Als besonderes Privileg empfindet er, dass bei Beyer neben hochkarätigen Uhren, von denen andere nur träumen können, auch an Objekten aus dem Museum gearbeitet werden darf. Darum wird er von seinen Kollegen an der Berufsschule beneidet. «Das Beyer-Universum besteht aus speziellen Dimensionen. Das macht natürlich stolz.»
Ein Klacks allerdings ist eine solche Lehre nicht, man muss sich schon reinhängen. Anhand von Grossuhren lernte Julius Breyer das Grundprinzip kennen. «Bis man eine einfache Uhr richtig versteht und jedes Teilchen beurteilen kann, dauert es gut ein halbes Jahr.» Als er fit genug war, kamen Taschenuhren an die Reihe. «Da ist alles so winzig, das erwartet man gar nicht», lacht er. «Ich mochte diese Phase, denn schnell gab mir der Lehrmeister Uhren, die ich selbstständig untersuchen und ihre Mängel analysieren durfte. » Mit den Armbanduhren schliesslich tauchte Julius Breyer vollends ab in dieses superfiligrane Mikrouniversum, in dem es um Hundertstelmillimeter geht, um die absolute Minimierung von Reibung, um das Perpetuum mobile auf allerkleinstem Raum, in dem fünfzig bis zweihundert Teilchen perfekt zusammenspielen müssen.
"DA IST ALLES SO WINZIG, DAS
ERWARTET MAN GAR NICHT."
Die Auseinandersetzung mit Uhrwerken ist die Kür. Das Pflichtprogramm aber heisst Feilen, Bohren, Nieten, Drehen, Fräsen,Schleifen. Stundenlang, tagelang, wochenlang. Damit die Werkzeuge mit der Hand verschmelzen und die Hand schnell wird, effektiv und irgendwann vor dem Gehirn weiss, was zu tun ist. Sowieso: Das Werkzeug – es ist das Erste, was ein Uhrmacherlehrling herstellt. Und es wird ihn ein Leben lang begleiten, weil die Hand mit nichts anderem arbeiten will. Das Set umfasst gut 30 Teile. «Zum Zeitpunkt ihrer Herstellung wusste ich bei den meisten noch nicht, wozu ich sie brauchen könnte», lacht Julius Breyer. Seine Lieblinge sind die Spitzfräser und die Kreuzfräser: «Die sind mir richtig perfekt gelungen.»


ERFREULICHE AUSSICHTEN
Einen grossen Vorteil seines Berufs sieht Julius Breyer auch in der Beständigkeit. Die Arbeit des Uhrmachers wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nicht wesentlich verändern. Auch die künstliche Intelligenz, die gerade in so vielen Berufen den Alltag umkrempelt, ist im Atelier kaum ein Thema. «In der Deutschschweiz gibt es zwar nicht gerade Stellen wie Sand am Meer – aber das Welschland ist so schön, da würde ich es sicher auch aushalten», schmunzelt er.
Und natürlich wird er hin und wieder privat gefragt, ob er sich eine Uhr anschauen kann, die nicht mehr richtig tickt. Bei aller Faszination: Das würde er nie tun, sagt Julius Breyer. Weil er ohne markenspezifisches Spezialwerkzeug eh keine Uhr öffnet. Und weil er noch nicht «fertig» ist, wie er meint. Er könnte sich einen Fehler nicht verzeihen – da ist und bleibt er der zielgerichtete Perfektionist.

DREI FRAGEN AN DEN LEHRMEISTER
Damian Ahcin ist Leiter des Uhrmacherateliers von Beyer. Besonders wichtig ist ihm, dass seine Auszubildenden auch aus der Geschichte lernen.
Was muss jemand mitbringen, damit er für eine Lehre im Uhrmacheratelier von Beyer infrage kommt?
Geometrie, Algebra, räumliches Vorstellungsvermögen: Unser Beruf stellt gerade auch an diese Disziplinen hohe Ansprüche. Darum müssen unsere Lernenden sehr gute schulische Leistungen vorweisen können. Und generell ein Interesse an Naturwissenschaften haben: Wir versuchen ja nichts anderes, als unser Universum und unsere Vorstellung von Zeit mechanisch einzuteilen und darzustellen.
Was ist an einer Uhrmacherlehre bei Beyer anders? Was kann Beyer den Lernenden mitgeben?
Eine ganzheitliche, umfassende Ausbildung, die über den üblichen Stoff und das Bedürfnis industrieller Betriebe hinausgeht. Wir bilden unsere Lernenden so umfassend aus, wie es vor 25 Jahren noch üblich war, an Grossuhren, Taschenuhren, Museumsuhren. Sie müssen die Geschichte kennen, alte Fertigungstechniken lernen. Und sie arbeiten teilweise an Uhren, die andere nur aus der Theorie kennen.
Wie steht es um die Berufssicherheit von Uhrmachern? Gibt es genügend Stellen?
Für einen guten Uhrmacher oder eine gute Uhrmacherin gibt es mehr als genügend Arbeit – es werden ja immer mehr Uhren hergestellt und immer mehr alte Uhren vererbt. Und das Gute ist: Wir Uhrmacher werden mit jedem Jahr besser, weil wir mit immer neuen Varianten und Möglichkeiten konfrontiert werden.
Eine Uhrmacherlehre dauert vier Jahre. Die Beyer Chronometrie nimmt alle zwei Jahre eine Lernende oder einen Lernenden auf.