Operation Geneva

Die «Kazès» war ein Geschenk von Beyer an Patek Philippe. Irgendwann machte sie keinen Wank mehr, und keiner wusste Rat. Ein Fall für unsere Grossuhrmacher …

«Kazès» Patek Philippe
Ihr kumuliertes Wissen über Grossuhren ist wohl einzigartig: René Rietmann und Ernst Baschung.

Es war eine Herzenssache», sagt Ernst Baschung, Leiter des Beyer-Uhrmacherateliers. «Dieses Projekt wollte ich einfach machen, ich verschob sogar eine wichtige private Angelegenheit.» Dass Baschung derart emotional wird, hat drei Gründe. Erstens gibt es nicht mehr viele komplexe mechanische Grossuhren, an denen er sein immenses Wissen unter Beweis stellen kann. Zweitens wird Baschung nächsten Herbst pensioniert, es war vielleicht das letzte Mal, dass er für ein derartiges Projekt ausrücken durfte. Und drittens ging es nicht um irgendeine Uhr, sondern um die «Kazès».

Seit 1989 hängt die Wanduhr des Künstlers Jean Kazès im eleganten Entrée von Patek Philippe in Genf, sozusagen im Allerheiligsten der Uhrenbranche. Die Beyer Chronometrie hatte sie der Manufaktur zum 150. Geburtstag geschenkt, als Dankeschön auch für eine aussergewöhnliche Partnerschaft. René Beyer und Philippe Stern, der damalige CEO von Patek Philippe, enthüllten sie in einem feierlichen Akt. Und wer die Manufaktur besuchte, kam gar nicht darum herum, sie zu bewundern, derart prominent über dem Empfang prangte sie im hohen Raum. 

Umso ärgerlicher war es, als vor rund zwei Jahren nichts mehr ging. Jeder zweite Besucher, der an den Empfangstresen von Patek Philippe trat, zeigte fragend zur «Kazès» hoch. Die Empfangsdamen und -herren beteuerten, man sei selber irritiert, denn man habe die Uhr kürzlich reparieren lassen von einer lokalen Firma. Keine Bange, beim nächsten Besuch laufe sie wieder, man habe die Firma nochmals aufgeboten.

Aber sie lief auch beim nächsten Mal nicht. Das heisst: Es surrte irgendwas, aber die Zeiger bewegten sich nicht mehr. Man konnte sich das weder bei Patek Philippe noch bei der Wartungsfirma erklären. Also fragte man beim Absender des Geschenks in Zürich nach. René Beyer liess verlauten: «Wenn jemand diese Uhr reparieren kann, dann unser Ernst Baschung. Wir schicken ihn so schnell wie möglich vorbei.»

«Kazès» Patek Philippe
Eine Kunstwanduhr birgt ihre Geheimnisse: Einblick ins offene Werk mit den Ketten, an denen das Gewicht für den Antrieb hängt.

AUF ÜBERRASCHUNGEN GEFASST

Aus Erfahrung wusste Baschung, dass einer solchen Operation oft eine eigene Dynamik innewohnt. Gut möglich also, dass eine Überraschung warte, die neben Fachwissen eine gehörige Portion Kreativität erfordern würde. Darum zog er nicht allein nach Genf, sondern nahm René Rietmann mit, einen befreundeten Uhrmacher aus Zollikon, der in seiner Werkstatt immer wieder Arbeiten für Beyer erledigt, die entweder viel Platz brauchen oder viel Zeit. Oder beides.

«Der Abbau in Genf lief erstaunlich reibungslos », erzählt Baschung. Eine Hebebühne brachte die beiden so nah ans Werk, dass sie es Stück für Stück demontieren konnten, sorgfältig und auf alle Eventualitäten gefasst. Sie entschieden sich, die Zeiger und den vorderen Teil des Uhrwerks für die Revision mitzunehmen und einen Teil des Werks zurückzulassen, weil dessen Demontage praktisch unmöglich gewesen wäre. «Viele Elemente waren in einem katastrophalen Zustand», sagt Baschung. Räder, Wellen und Kurbeln durchgerostet, Motorenteile verharzt, Achsen verklemmt, Stifte durchgescheuert. Und das Schlagwerk war mit einem Kabelbinder blockiert. Baschung: «Daher rührte das Summen, das man am Empfang hörte: Das Gehwerk lief, die Gewichte wurden aufgezogen, aber das Schlagwerk reagierte nicht, obwohl Energie drauf war. Ein Wunder, dass es bei Patek Philippe nicht dauernd die Sicherung rausgejagt hatte.»

DAS GROSSE RÄTSEL

Während rund eines Monats entstand in der Werkstatt von René Rietmann eine ganze Reihe von Ersatzteilen, schöner und langlebiger geschaffen als jene im Originalwerk. «Eine enorme Arbeit – aber ein Genuss für jeden Uhrmacher», wie Baschung lachend sagt. Zusammen mit den neuen Teilen, den neuen Motoren und Kugellagern reisten Baschung und Rietmann abermals nach Genf, installierten das renovierte Uhrwerk – und wurden immer nervöser. Denn die Uhr lief nicht. Auch spät am Abend standen sie noch kopfschüttelnd vor dem Rätsel. Der Motor des Schlagwerks zog in die falsche Richtung auf. Man hatte recherchiert, telefoniert, Protokolle der Wartungsfirma gelesen, aber kam einfach nicht auf die Lösung. Also beschloss man, die Dinge ruhen zu lassen und am nächsten Tag weiterzumachen.

Nach einer mehr oder weniger schlaflosen Nacht und weiteren Experimenten fanden Baschung und Rietmann den Grund allen Übels: Die Winkelposition des Stoppbolzens am Einfallhebel war falsch konstruiert. Dieser Bolzen hätte das Schlagwerk nach dem Schlagen zum Stillstand bringen müssen, was er nicht schaffte. Mit einem Diamantschleifer berichtigten die Uhrmacher die Winkelposition des Bolzens und bekamen das Problem in den Griff. Damit künftig beim Zeigerstellen nichts mehr verklemmen kann, bauten sie eine Leerlaufsicherung ein. Ausserdem erhielt das Werk eine Korrekturvorrichtung für die Zeitumstellung. In den nächsten Jahrzehnten soll keiner mehr irritiert zur «Kazès» hochblicken, sondern nur noch voller Bewunderung.

«Wir haben die Uhr renoviert, restauriert und modifiziert», sagt Baschung zufrieden. «Man sieht unsere Arbeit zwar nicht, aber das ist normal für uns Uhrmacher. Uns reicht der Gedanke, dass wir uns bei Patek Philippe ein bisschen verewigt haben.» Baschung lacht, und der Stolz steht ihm ins Gesicht geschrieben. «Vielleicht heisst es ja irgendwann, wenn wir nicht mehr da sind: Die zwei alten Dinosaurier damals, die hatten es eben noch echt drauf.»

Patek Philippe Philippe Stern

Beyer Chronometrie