Sauerstoff für die Geschichte

Bei einer Revision blicken unsere Uhrmacher nicht nur ins Innere eines Werks, sondern oft auch in Familiengeschichten. So wie bei der «Kofmehl-Uhr».

Unsere Geschichte beginnt im Jahr 1895, die Bahnhofstrasse befindet sich auf dem Weg zum Prachtboulevard nach Pariser Vorbild, ist aber längst nicht fertig gebaut. Zwischen neuen Fassaden verwildern alte Gärten und Villen. Schräg gegenüber der Beyer Chronometrie (damals: Palais de Crédit Suisse) richtet Peter Kofmehls Grossvater ein Gold- und Silberschmiedatelier ein (heute: Chopard).

Er hat Erfolg, kann bald grössere Räume beziehen (heute: Löwenapotheke), und als vis-à-vis die brach liegende Parzelle zum Verkauf steht, greift er zu. Er lässt das Haus zum Rheingold erbauen in einer Mischung aus Jugendstil und Klassizismus, modern mit Metall und Sandstein kombiniert. Im Ladenlokal eröffnet er 1909 eine Bijouterie (heute: IWC), bald kommen Uhrenmarken dazu.

Am zerlegten Werk glättet Damian Ahcin das Lager, während rund 180 Einzelteile in der Galotte auf ihren Einsatz warten.

Nach dem Tod des Grossvaters übernimmt der Vater, nach dessen Tod führt Peter Kofmehl das Geschäft zusammen mit seiner Mutter; es ist kleiner als Beyer und Türler, die beiden Grossen an der Bahnhofstrasse, gilt aber ebenfalls als Institution. Man hat das Uhrenangebot ausgebaut. Allerdings ist der Verkauf von Zeitmessern aufgrund von Bedingungen des Schweizerischen Goldschmiede- und Uhrenverbands nur mit hauseigenem Uhrmacher möglich. Darum absolviert Peter Kofmehl nach der Handelsschule von 1959 bis 1961 eine Ausbildung an der Uhrmacherschule La Chaux-de-Fonds.

LIEBEVOLL VERZIERTES BIJOU

«Man darf es so sagen: Ich fand dort meine Bestimmung», erzählt der heute 84-Jährige. «Ich mochte die Stunden an der Werkbank und genoss später jede einzelne Revision, die ich für unsere Kundschaft durchführen durfte.» Das Highlight seines Studiums ist die Abschlussarbeit – eine eigene Uhr. Auf Basis des Kalibers Valjoux 88 setzt er ein Werk mit rund 180 Einzelteilen zusammen, jeder Winkel ist von Hand poliert, die Flächen ebenso liebevoll wie exakt mit Perlage und Genferschliff verziert, die Brücke mit seinem Namen graviert, ein Bijou.

«Ich habe sie kaum getragen, sie dünkte mich stets zu verletzlich, zu kostbar», sagt Kofmehl. Jetzt hat er sie wieder hervorgeholt, hat kurz in der Vergangenheit geschwelgt, dann die Zukunft anvisiert. «Ich bin sehr Vintage-affin und mag alte Uhren fast lieber als neue. Dieses Stück liegt mir besonders am Herzen. Ich möchte es dereinst einem meiner Kinder vermachen – voll funktionstüchtig, natürlich.»

Da er keine Werkbank mehr besitzt und Hand und Auge auch nicht mehr für eine Revision genügen würden, brachte er die Uhr dahin, wo die Besten der Zunft arbeiten: zu Beyer. «Schon für Vater Teddy Beyer hegte ich grosse Sympathien, wir begegneten uns jeweils an den Versammlungen des Verbands und fühlten uns nicht als Konkurrenten, sondern als Berufskollegen, die sich auch mal aushalfen.»

Exakt 1,58 Millimeter winzig ist die Öffnung, die zylindrisch ausgedreht wird, um ein Bouchon einzusetzen.

Im Atelier von Beyer war man beeindruckt von der Uhr, gerade weil sie eine nicht alltägliche Geschichte erzählt. «Herr Kofmehl ist Uhrmacher, er tickt ähnlich wie wir – darum konnten wir gut nachvollziehen, was diese Uhr für ihn bedeutet», sagt Atelierchef Damian Ahcin. «Ausserdem haben wir es hier mit einem qualitativ hochstehenden, sehr schönen Säulenchronographen mit Triple-Datum und Mondphase zu tun, wie sie lediglich zwischen 1947 und 1974 hergestellt wurden.» Der hervorragende Zustand verbunden mit dem emotionalen Wert mache dieses Exemplar in der Tat aussergewöhnlich, sagt Ahcin.

Auf seinem Etabli zerlegt er die Uhr in ihre Einzelteile, um den Zustand zu analysieren und entscheiden zu können, was man aufarbeiten muss und was man belässt, um nicht zu stark in die Historie einzugreifen. «Ihre Vergangenheit ist ein wichtiger Teil der Uhr. Würden wir zu sehr auf neu polieren, verlöre die Uhr die Patina, die sie ausmacht», erklärt Ahcin. «Es geht um Authentizität: Die Uhr ist ein Stück Industriegeschichte. So darf sie sich auch anfühlen. Ein alter Porsche fährt sich ja auch nicht gleich wie ein neuer.»

KORREKTUREN IM MIKROBEREICH

Ausserdem gilt gerade bei einer Uhr: Je mehr Material man wegpoliert und je mehr man korrigiert, desto höher das Risiko, dass die Mechanik nicht mehr exakt spielt, was weitere Eingriffe nötig machen würde. Besonders bei dieser Revision ist das Auffrischen der sogenannten Schwarzpolitur (Ahcin: «Hier wurde einst äusserst sorgfältig gearbeitet!»), was mit einer Diamantpaste auf einer Zinnplatte geschieht. Ausserdem steckt das Minutenrad in einem leicht ausgeleierten Lager, Ahcin muss an der Drehbank die Öffnung auf den Hundertstelmillimeter genau runden und eine Lagerung einsetzen, ein sogenanntes Bouchon. Vor allem aber poliert er Kratzer weg, pflegt Dichtungen beziehungsweise ersetzt jene, die spröde sind, und behebt kleinere Verletzungen.

Und so darf Damian Ahcin die revidierte Uhr ihrem Besitzer im Bewusstsein übergeben, dass sie weiterticken und hoffentlich noch manchen Generationen davon erzählen wird, wie das war, als es die Bahnhofstrasse noch gar nicht wirklich gab, aber ein kluger, zukunftsorientierter Vorfahre ein neues Kapitel der Familiengeschichte aufschlug und die Zeit in die richtige Richtung lenkte.

Für die Zukunft gerüstet: Damian Ahcin übergibt
Peter Kofmehl die revidierte Uhr.

Das Uhrenatelier Beyer ist das grösste Atelier eines Uhrenhändlers in Zürich.
Über dem Geschäft an der Bahnhofstrasse 31 und im Grossuhrenatelier in Zollikon beschäftigt Beyer zehn Uhrmacher und zwei Uhrmacherlernende.

BEYER Uhrenatelier

Beyer Chronometrie