NICHOLAS FOULKES Der britische Historiker, Buchautor und Journalist gilt als profundester Kenner von Patek Philippe. Fürs beyond kommentiert er spezielle Epochen und Phänomene.
MIT WEISEN VISIONEN
Von wegen Quarzkrise! Die 1970er standen auch für avantgardistisches Design – gerade bei Patek Philippe.
Allzu gern werden die 1970er und die frühen 1980er dem Oberbegriff «Quarzkrise» untergeordnet. Das wird diesem eigenständigen und faszinierenden Abschnitt in der Geschichte der Schweizer Uhrmacherkunst jedoch nicht gerecht. Und Patek Philippe erst recht nicht.
Das Aufkommen der Quarzuhren, das Ende des Bretton-Woods-Abkommens, die Stärke des Schweizer Frankens und der dramatische Anstieg des Goldpreises stellten die traditionelle Uhrenindustrie vor grosse Herausforderungen. Die Schweizer Uhrmacherei florierte jedoch bis 1973. Und selbst danach, als die Zeiten sich verdunkelten, gab es immer wieder Lichtblicke – zum Beispiel 1976, als Patek Philippe der Welt die «Nautilus» präsentierte. Tatsächlich standen die 1970er im Zeichen avantgardistischen Designs. So hätten die klobigen «Beta 21»-Quarzuhren der Referenz 3597 mit ihren an Käsereiben erinnernden Armbändern von Pierre Cardin genauso gut aus der Requisite des Films «2001: Odyssee im Weltraum» stammen können.
Das Glanzstück der 1970er-Jahre war schliesslich die «Ellipse d’Or», die 1968 ihr Debüt gegeben hatte. Anfangs noch zurückhaltend, mit einem Gehäuse aus Gelbgold und dem berühmten Zifferblatt in schimmerndem Blaugold, wurde die ursprüngliche «Ellipse» schnell zu einer Marke in der Marke. Es folgten neue Zifferblattfarben mit sinnträchtigen Namen wie «Vermeerbraun » und «Herbstgold». Die «Ellipse» liess sich perfekt kombinieren mit den seidigen, schleifenartigen Goldarmbändern in der gewobenen Optik der damals beliebten Stile Milanaise, Polonaise und Cotte de Mailles. Und auch die Gehäuseform bot Raum für Kreativität: Manchmal war die «Ellipse» quer befestigt, wie bei der Referenz 3545. Manchmal war sie gar nicht elliptisch, sondern beinahe quadratisch, wie bei der als «Golden Circle» bekannten Referenz 3604. Auch die Lünetten wurden neu gestaltet, zum Beispiel bei der Referenz 3630 mit Zifferblättern aus Onyx oder Lapislazuli; Edelstein-Zifferblätter erfreuten sich in diesem Jahrzehnt besonderer Beliebtheit.
Doch die «Ellipse d’Or» war viel mehr als nur eine Armbanduhr. Es gab sie als Taschenuhr, Ring, Manschettenknöpfe, Krawattenhalter, Schlüsselanhänger, Geldklammer, Zigarettenanzünder und – das Meisterstück – als Sternzeichenanhänger von beachtlicher Grösse an Goldketten aus poliertem Weissgold und strukturiertem Gelbgold. Am Ende des Jahrzehnts führte der Katalog von Patek Philippe mehrere Dutzend «Ellipse-Referenzen». Der rasante Aufstieg des Nahen Ostens zu einem wichtigen neuen Markt brachte ferner eine grosse Nachfrage nach einzigartigen Stücken mit sich. Darunter befindet sich beispielsweise eine «Ellipse» mit einem Pavé-Diamant- Zifferblatt mit Koralle, bei der die Koralle in einem breiten Streifen von der 5 zur 11 diagonal über das Zifferblatt verläuft und aussermittig «Patek Philippe Genève» und «Swiss» aufgedruckt sind. Dies waren die Uhren, die damals im Rampenlicht standen – so wie es heute etwa der «Chronograph Perpetual Calendar» Ref. 5270 mit seinem einzigartigen Zifferblatt tut. Gleichzeitig legte das Unternehmen auch das Fundament für seine Vormachtstellung in der komplizierten Uhrmacherei im späten 20. und im 21. Jahrhundert.
An einem Morgen im Juni 1979 hielten Patek-Präsident Philippe Stern und der technische Direktor Max Studer eine Sitzung. In jenem Jahr wurde Patek Philippe 140 Jahre alt, doch Stern blickte bereits voraus zum 150-Jahre-Jubiläum 1989. Studer war seinerseits ein aussergewöhnlich talentierter Uhrmacher, ein ehemaliger «Meister-Regleur» bei den Sternwarten-Wettbewerben, die mit dem Aufkommen der hochpräzisen Quarztechnologie in den späten 1960er-Jahren ein Ende gefunden hatten. Doch Studers Herz schlug weiterhin für die mechanische Uhrmacherei, und so unterbreitete er den Vorschlag, dass Patek Philippe zum 150. Jahrestag den kompliziertesten tragbaren mechanischen Zeitmesser aller Zeiten bauen solle. Zur Erinnerung: Das war im Jahr 1979, auf dem Höhepunkt der Quarzkrise, zu einer Zeit, als Edelstein-Zifferblätter und ultradünne Uhren gefragt waren. Trotzdem stellte sich Visionär Philippe Stern hinter diese Idee. Er beauftragte ein begnadetes Team damit, eine Uhr zu entwickeln, die gar die sagenhafte « Henry Graves Supercomplication » in den Schatten stellen sollte.
Diese historisch bedeutsame Uhr wurde zu einem Wahrzeichen. Sie ist heute als Kaliber 89 bekannt.