Wären Sie nicht so unglaublich zurückhaltend, würden sie Zeitungsspalten am Laufmeter füllen, ja ganze Bücherregale: Ronald und Peter Neufeld verpachten in Zürich drei Dutzend Lokale, vor allem in den Kreisen 3 und 4. Sie führen fünf Hotels in drei Städten, eines davon in der Türkei. Und manchmal beschreiten sie gar abenteuerliche Wege, übernehmen eine Abfüllanlage in Tschechien oder installieren eine Achterbahn in Sibirien. Und lachen darüber, dass das eine oder andere Projekt nicht mehr abwirft als eine tolle Erfahrung, die sie nicht missen möchten. René Beyer sagt über die Neufelds: «Ich kenne keine bescheideneren Leute – und kaum ehrlichere.» Heute allerdings geht es um den mit Abstand rührigsten Ast im neufeldschen Imperium: das «andere» Uhrenmuseum in Zürich. «Zum Rösli» heisst es, weil es an der Röslistrasse im Kreis 6 domiziliert ist. Kürzlich wurde es liebevoll restauriert. Keine grosse Sache für Ronald und Peter Neufeld, die, wie so oft, Grosses tun, aber nicht darüber reden. Doch ein bisschen gefreut haben sie sich schon, als René Beyer sie anfragte, ob sie bei einer «Begegnung » fürs beyond dabei wären. Denn a) ist man einander freundschaftlich verbunden, b) wohnt man in der Nachbargeinde, und c) scheint den Neufeld-Brüdern wenig wichtiger als das Erbe ihres Vaters Hans.
«SEIT 40 JAHREN ESSEN WIR JEDEN MITTAG ZUSAMMEN IM EIGENEN RESTAURANT.»
Und dazu gehört eben auch dessen mit viel Herzblut und der Unterstützung seiner Gesinnungsgenossin Marta Gisler aufgebaute Uhrenmuseum. Peter und Ronald Neufeld holen René Beyer in der Chronometrie ab. Um die Ecke wartet ein goldfarbener Chevrolet «Beauville», Jahrgang 1972. Als passionierte Betreiber eines Verleihs von amerikanischen Oldtimern haben es sich die Neufelds nicht nehmen lassen, für diese besondere Begegnung ihr «Goldstück» aus der Garage zu holen. Zu ihrer Sammlung gehören auch ein Streifenwagen, ein Leichenwagen und ein Schulbus.
Und sie weisen allesamt nicht wenige Gebrauchsspuren auf. Schliesslich sollen die Fahrzeuge in den Werbespots und Filmen, in denen sie zum Einsatz kommen, auf glaubwürdige Art zum Zeitgefühl beitragen. Auch Stunts sind mit ihnen möglich, wobei die Neufelds solche Szenen
gern auch selber übernehmen. Der Bus kommt vor einem schmucken Häuschen mit kleinem Garten zu stehen. Hier wuchs Marta Gisler auf, und hier lebte sie bis zu ihrem Tod 2017. Ihr Vater hatte es als Schulhaus gekauft und noch darin unterrichtet. In seiner Freizeit hatte er sich dem Uhrmacherhandwerk gewidmet, das er im Dachstock ausübte, und die Uhrensammlung aufgebaut, die seine Tochter später weiterführte. Sein Établi kann man noch heute unverändert unter der Dachschräge bewundern.
MARTA GISLERS ZUHAUSE
Der Kurator und Restaurator des Museums, Armon Defilla, wartet schon in der Tür, er begrüsst die Gäste und führt sie in den ersten Stock. Dort knarzen die ausgetretenenBalken heimelig unter den Sohlen. René Beyer ist begeistert – nicht nur von der Uhrensammlung, auch ob der Urtümlichkeit des Gebäudes und des unregelmässigen Bodens. «Da fühlt man sich wie auf einem Schiffsdeck», schwärmt er. Armon Defilla erklärt: «Hier, im mittleren Stock, hat Marta Gisler noch bis vor vier Jahren gelebt – mit dem Komfort des vorletzten Jahrhunderts. Die Zentralheizung wurde erst nach ihrem Tod installiert.» Marta Gisler sammelte vorwiegend Uhren Schweizer Provenienz aus allen Epochen, während Hans Neufeld sich auf internationale Uhren aus der Renaissance konzentrierte. Die Eröffnung im Jahr 2005 erlebte er nicht mehr. Er starb kurz davor, umgeben von seinen Uhren.
DIE SACHE MIT DER ACHTERBAHN
Neben dem Immobilienimperium, das Hans Neufeld gründete, interessierte er sich auch für ausgefallene Investitionen, wie Peter Neufeld lachend verrät: «Auf einem Flug sass er neben einer Dame aus Wien, die ihm von ihrer Achterbahn im Prater erzählte.» Der Vater sei so begeistert gewesen, dass er alle Hebel in Bewegung setzte, um ein Stück Land im Prater pachten zu können. So sind die Brüder Neufeld heute auch Betreiber des Rollercoasters Megablitz und einer Gokartbahn im Prater. «Wer von euch kümmert sich denn um welchen Bereich dieser ganzen Vielfalt?», will René Beyer wissen. Und bekommt von zwei Brüdern, aber wie aus einem Mund die vielleicht schönste Antwort, die man sich vorstellen kann: «Natürlich wir beide um alles!»
Tatsächlich schaffen Ronald und Peter Neufeld ein Kunststück, das nur wenigen Erben gegeben ist: sich nicht nur nicht zu zerstreiten, sondern aufzugehen in totaler brüderlicher Harmonie. Sie nehmen alle Termine gemeinsam wahr, entscheiden alles Wesentliche zusammen, sind praktisch immer gleicher Meinung, und seit 40 Jahren essen sie jeden Mittag zusammen im eigenen Restaurant. «Wir sind wohl das wandelnde Klischee eineiiger Zwillinge», grinst Ronald Neufeld. «Wir funktionieren ganz und gar symbiotisch.»
Als René Beyer staunend vor einer alten Spieldose stehen bleibt, meint Peter Neufeld schmunzelnd: «Wir haben noch etwas viel Imposanteres dieser Art, aber das hat hier im Museum keinen Platz.» Die grösste jemals gefertigte Chilbiorgel des legendären Herstellers Gavioli ist fix auf einem Lastwagenanhänger installiert und wird mit Lochbändern gesteuert. «Die Wartung ist allerdings ein Albtraum», räumt Ronald Neufeld ein. «Sämtliche Instrumente müssen regelmässig gestimmt werden!»
«WIR SIND WOHL DAS WANDELNDE KLISCHEE EINEIIGER ZWILLINGE.»
Im Parterre mustert René Beyer fasziniert die geräumige Werkstatt von Kurator und Restaurator Armon Defilla. Man fachsimpelt über die Schwierigkeit, heute von den Herstellern noch Ersatzteile zu bekommen. Geheimtipps werden ausgetauscht, und am Ende steht fest, dass es nicht das letzte Mal sein wird, dass das Uhrenmuseum Rösli und die Chronometrie Beyer miteinander zu tun haben.
Die Rückfahrt Richtung Paradeplatz gestaltet sich schwieriger als die Anfahrt, denn unterdessen hat der Feierabendverkehr eingesetzt. Ronald sitzt wieder am Steuer und ärgert sich über die kurzen Grünphasen der Ampeln und über Leute, die nicht gleich losfahren. «Peter!», ruft er durch den gurgelnden V8-Sound des «Chevi » seinem Bruder im Fond zu, «wir hätten vielleicht doch lieber den Streifenwagen nehmen sollen. Mit Sirene und Blaulicht wären wir definitiv schneller!»
Eine eigene Welt: Das Uhrenmuseum zum Rösli präsentiert rund 500 Zeitmesser – und jede Menge Atmosphäre.