«Ich trage aus Prinzip keine Uhren»

Patek Philippe und Beyer – seit 1842: Thierry Stern, der junge Chef von Patek Philippe, ist ein alter Freund von René Beyer. Die beiden verbindet vieles – auch die Verantwortung, in eine Uhrendynastie hineingeboren worden zu sein.

Herr Stern, wer weiss mehr über Uhren, Sie oder René Beyer? (Lacht) Hmm, ich denke, René weiss mehr über die verschiedenen Marken und die weltweiten Trends. Dafür ist mein Wissen über Patek Philippe wohl grösser – hoffe ich zumindest.

René Beyer ist in Ihrem Alter... Nein, nein, er ist vier, fünf Jahre älter (lacht wieder). Aber wir haben eine ähnliche Laufbahn hinter uns, lernten beide von unseren Vätern, wie das Geschäft geht, und übernahmen jung die Familienbetriebe. Er steht allerdings bereits in der siebten Generation, bei mir ist es die vierte.

Ihre erste Erinnerung an die Familie Beyer? René‘s Vater und meiner trafen sich oft in Basel, Zürich oder hier in Genf und diskutierten leidenschaftlich darüber, was sie wieder Tolles für ihre Museen gekauft hatten. Fasziniert hörte ich ihrem Fachsimpeln zu, verstand aber nicht viel.

Keine Streiche unter Jungs? Dafür sah ich René zu selten. Erst als wir Verantwortung übernahmen, intensivierten wir den Kontakt, reisten gemeinsam zu Kunden und diskutierten, was man für die Uhrenindustrie tun könnte – ein leidenschaftliches Anliegen von René.

Gibt er Ihnen Ratschläge für Neuentwick- lungen? Ja, obwohl es für einen Detaillisten nicht einfach ist, Neuheiten zu entwickeln. Doch René hat die Fähigkeit, sich in alten Uhrenbüchern zu vergraben, Patente zu studieren, die Konkurrenz zu analysieren und daraus Neues zu entwickeln.

Wie schwer wog die Last der Familientradition als Teenager? Nicht schwerer als heute: Sie bleibt leider ein Leben lang bestehen, für mich wie für René. Man denkt oft: Soll ich das Risiko eingehen und mit einem Fehler möglicherweise eine ganze Geschichte zerstören? Aber das geht wohl vielen Menschen so in ihren Berufen.

Nicht jeder Mensch ist Teil einer Uhrendynastie... René und ich hätten auch andere Berufe wählen können; in Europa geht das. In Asien wäre es schwieriger. Da sind Familiendynastien in Stein gemeisselt.

Haben Sie jemals mit einem anderen Beruf geliebäugelt? Nein, ich freute mich schon immer, dereinst Uhren zu entwickeln, diese Firma zu führen, Aufgaben im Marketing zu übernehmen. Für Detaillisten ist es möglicherweise schwieriger. Es gibt wohl weniger Möglichkeiten, sich zu entfalten. Eine Manufaktur wie die unsere vereint über 50 Berufe.

Welche Arbeit mögen Sie am liebsten? Ich liebe es, neue Uhren zu entwickeln. Bei Patek sind die Besitzer immer eingebunden in die Entwicklung neuer Modelle. Wir holen keine Star-Designer. Jemand Externes könnte keine wahre Patek kreieren.

Kazes-Installation Patek Philippe

Enthüllung in Genf: René Beyer schenkt Philippe Stern 1996 zur Eröffnung der neuen Manufaktur eine Kazes-Installation

Aber Sie müssen auch führen. Ich stelle gut ausgebildete Leute ein für die Finanzen oder für Aufgaben, wo es Bessere braucht als mich. Doch unsere Werte, die muss ich vermitteln: den Respekt, die Familie, die Liebe zur Arbeit. So ist das auch bei René: Er kann die besten Verkäufer einstellen, aber letztlich ist es sein Job, dem Personal weiterzugeben, was Beyer ausmacht.

Wie erklären Sie Ihren Kindern, was Patek Philippe ist? Die Jungs sind sechs und acht Jahre alt. Sie wissen, dass so eine Uhr kostbar ist, aber nicht wieso. Ihr Auge ist noch nicht geschult, auch ihr Sinn für Rares nicht oder das Wissen um die Handarbeit, die in einer solchen Uhr steckt.
 

«Eine Patek Philippe ist nie ein modisches Accessoire.»


Mögen Sie sich an Ihre erste Patek Philippe erinnern? Bei uns in der Familie bekommt man die erste Patek zum 20. Geburtstag, davor ist man zu jung. Man gibt einem 16-Jährigen ja auch keinen Ferrari. Ich bekam eine Nautilus, Referenz 3700 JA, eine Automatik.

Fällt es Ihnen am Morgen einfach, sich für eine Uhr zu entscheiden? Ich nehme immer die gleiche, eine Aquanaut. Sie ist sportlich, robust und passt gut zu mir. Aus Prinzip trage ich keine neuen Uhren, das wäre unseren Klienten gegenüber nicht fair: Sie warten oft über ein Jahr auf genau diese Uhr. Die Kunden sollen die Neuheiten tragen, nicht ich.

Wie schwierig ist es, in einem Traditionshaus neue Ideen einzubringen? Für das Patek-Gefühl muss man durchaus zehn Jahre hier arbeiten, mit den Leuten reden, reisen, die Vergangenheit miteinbeziehen. Eine Patek Philippe ist nie ein modisches Accessoire. Sie soll viel mehr für mehrere Generationen aktuell bleiben. Trotzdem habe ich andere Ideen als mein Vater. Er würde vielleicht ein weisses Zifferblatt nehmen – ich nehme ein graues.

Wünschen Sie sich nie, verrückte Uhren zu kreieren? Als ich jünger war, wäre es vielleicht gut gewesen, ich hätte Erfahrungen gesammelt bei einer grossen Gruppe wie Richemont. Aber jetzt? Diese Gruppen werden nicht von Uhrmachern geführt, sondern von Geschäftsmännern. Ich habe grossen Respekt etwa vor Herrn Hayek, aber auch er ist kein Uhrmacher, er macht Business. Er steht nicht im Dienst einer Qualitätsmarke, er hat andere Probleme und muss sich vor den Aktionären verantworten.

Wie hat sich Ihre Partnerschaft mit René Beyer über die Jahre verändert? Wenn man sich so gut kennt, so eng zusammenarbeitet, hat man grosses Vertrauen zueinander. Und manchmal heftige Auseinandersetzungen. Eine Beziehung ist wie ein Kind, das langsam älter wird: Zuerst ist sie launisch und emotional, dann wird sie ausgeglichener, erwachsener. René und ich sind jetzt über die Adoleszenz hinaus, würde ich sagen.

Text: Simon Brunner
Fotos: Hans Schürmann

Beyer Chronometrie