Alle Zeit der Welt

Sie ist einer der Höhepunkte unserer Sonderausstellung: Louis Cottiers berühmte Weltzeituhr, die er 1937 für Patek Philippe schuf.

Louis Cottier schlendert durch die Gassen von Carouge, blickt hoch zu den Baumkronen und überlegt, ob sie sich für ein Gemälde eignen; seine Freizeit verbringt der Uhrmacher gern hinter der Staffelei. Doch zunächst hat er Wichtigeres zu tun. Es ist das Jahr 1935, und Cottier kehrt gerade aus der Nachbarstadt Genf zurück, wo er sich mit den Verantwortlichen von Patek Philippe getroffen hat, der weltberühmten Uhrenmanufaktur. Er biegt in die Rue Vautier ein und steuert die Nummer 45 an, eine Papeterie und Buchhandlung, geführt von seiner Frau Antonie. «Ich habe einen grossen Auftrag!», ruft er ihr beim Eintreten zu und bahnt sich seinen Weg durch das Geschäft in die hinteren Räumlichkeiten, wo sich seit 1931 sein Uhrmacheratelier befindet.

Louis Cottier, geboren 1896, hat sein Talent für die Uhrmacherei von seinem Vater Emmanuel geerbt, der auf mechanische Automaten spezialisiert war. Von ihm stammt auch die Idee, die Louis Cottier mit dem Auftrag von Patek Philippe zur Perfektion bringen sollte und die heute in einem Atemzug mit seinem Namen genannt wird: die Weltzeituhr.

Uhrenmuseum
Gilt als die Mutter aller Weltzeituhren: Cottiers Tischuhr traf 1937 den Zeitgeist auf den Punkt.

«DASS DEREINST EIN PARK NACH IHM BENANNT WÜRDE, WÄRE IHM NICHT IM TRAUM IN DEN SINN GEKOMMEN.»
 

Das Thema kommt nicht von ungefähr: Cottier lebt in einer Zeit, die geprägt ist von gewaltigen Fortschritten im Bereich des Reisens. Immer schnellere Züge, Schiffe und Flugzeuge lassen die Distanzen und damit den Globus schrumpfen. Kaum fünfzig Jahre zuvor war in Washington beschlossen worden, den Umfang der Erde in 24 Zeitzonen einzuteilen und den Nullmeridian durch das Observatorium von Greenwich zu ziehen. Jules Verne hatte 1873 mit seinem Roman «In 80 Tagen um die Welt» beschrieben, was für vertrackte Auswirkungen eine Reise um die Erde auf das Zeitmanagement haben kann, wenn man die Uhrzeit nicht im Blick behält.

ZWEI REIFE JONGLIEREN MIT DER ZEIT

Die Uhr, die Cottier nun also für Patek Philippe ersinnt und die 1937 fertig werden soll, trifft diesen Zeitgeist auf den Punkt. Mit ihr werden Geschäftsleute auf einen Blick erkennen können, ob ein Anruf nach New York gerade opportun ist oder ob man da womöglich beim Mittagessen stören könnte.

Das Konzept ist so einfach wie genial – und ist es bis heute geblieben. Wie herkömmliche Uhren besitzt Cottiers Weltzeituhr im Zentrum ein Zifferblatt mit zwölf Indizes, auf dem ein Stunden- und ein Minutenzeiger wie gewohnt die Zeit anzeigen. Die Besonderheit besteht hingegen im Reif, der dieses Zifferblatt umgibt (siehe Abbildung Seite 67). Er ist mit 24 Stunden beschriftet und in eine helle Hälfte für den Tag und eine dunkle für die Nacht unterteilt. Eine Sonne markiert den Mittag, während an der Stelle der Ziffer 24 ein Mond prangt.

Dieser Reif steht nicht still, sondern dreht sich einmal täglich im Gegenuhrzeigersinn um das zentrale Zifferblatt, sodass die Ziffern langsam an der Zwölf-Uhr- Position der zentralen Uhr vorbeiziehen und die Zeit am Zielort anzeigen, also die zweite Uhrzeit. Nun fehlt nur noch die Zeit für die übrigen Orte der Welt. Eine Auswahl hat Cottier auf einem stillstehenden weiteren sReif untergebracht, der bei Bedarf aber auf eine neue Heimatzeit verschoben werden kann. Der innere, wandernde Reif nimmt Sonne, Mond und die Uhrzeiten mit und schickt sie auf die Reise zu allen auf dem äusseren Reif aufgedruckten Orten. Befindet sich eine Uhrzeit nicht exakt unter einer Ortsbezeichnung, kann die Abweichung einfach am zentralen Minutenzeiger abgelesen werden.

Uhrenmuseum
Die Uhr verkündet die Zeit akustisch mit einer Grande Sonnerie und ist mit kunstvollen Cloisonné-Email-Malereien verziert.

GRANDE SONNERIE UND MONDPHASEN

Die Weltzeituhr, mit der Patek Philippe 1935 Louis Cottier beauftragt, soll etwas ganz Besonderes werden. Cottier konstruiert deshalb das Uhrwerk von Grund auf neu. Es enthält nicht nur einen acht Tage währenden Antrieb für die Zeitanzeige, sondern verkündet die Uhrzeit akustisch mit einer Grande Sonnerie: Sie markiert die vollen Stunden mit Glockenschlägen. Ausserdem ist der Mond eine Kugel mit heller und dunkler Hälfte, die langsam rotiert und dem Betrachter die Mondphasen bildlich darstellt. Um das prachtvolle Gehäuse muss Cottier sich nicht kümmern. Es wird von den besten Emailkünstlern Genfs mit Motiven aus der Seefahrt in der Technik der Cloisonné- Emaillierung verziert.

Louis Cottier stirbt 1966, er ist 71-jährig und mit sich im Reinen. Dass er als einer der bedeutendsten Schweizer Uhrmacher des 20. Jahrhunderts in die Annalen eingehen würde und dass in Carouge dereinst ein Park nach ihm benannt würde, wäre ihm nicht im Traum in den Sinn gekommen. Als durch und durch bescheidener und demütiger Mensch hat er keine seiner 455 Schöpfungen signiert. Das einzige Erkennungsmerkmal, das er zuweilen hinterliess, war der speziell geformte Stundenzeiger mit Ring; man findet ihn nur bei Cottiers Uhren.

Sein uhrmacherischer Nachlass wurde von seinen Erben der Stadt Genf vermacht: Er befindet sich heute im Musée d’Art et d’Histoire. Die Weltzeituhr von Patek Philippe aber hat längst in Zürich eine Heimat gefunden – im Uhrenmuseum Beyer.

AUSSTELLUNG ZEITREISEN

Vom 12. Juni bis 20. Oktober präsentiert das Uhrenmuseum Beyer eine Sonderausstellung rund um das Thema Reisen und Zeitmessung. Höhepunkte sind die Rolex «Explorer» von Sir Hillary, die Rolex «Deep Sea Special» und die Weltzeituhr von Louis Cottier. Ein Rätsel-Rundgang bringt das Thema auf unterhaltsame Art auch Familien näher.

Beyer Chronometrie