Am Anfang war die Turmuhr

Eines der grössten Exponate im Uhrenmuseum Beyer ist ein halbes Jahrtausend alt und war fast vierhundert Jahre in Betrieb: Die Turmuhr aus Turbenthal funktioniert noch heute.

Als der Schmied und Schlosser Hans Luter 1516 von Waldshut nach Zürich zog, wurde ihm erst bewusst, welch rares Gut seine Begabung war. Als einer der wenigen seines Berufsstands wusste er, wie man ein Uhrwerk baut. Den Beruf des Uhrmachers gab es damals noch nicht.

Uhren – und dabei handelte es sich ausschliesslich um grosse Exemplare, die in Kirchtürmen und Stadttoren zum Einsatz kamen – waren Konstruktionen, denen etwas Geheimnisvolles anhaftete. Jemand, der einen Apparat anfertigen konnte, der sich ohne menschliches Zutun über längere Zeiträume gleichförmig bewegte, musste ein Magier sein. Luter hatte das Glück, dass es zu seiner Zeit in Zürich niemanden gab, der dieses Geheimnis kannte. «Umb siner khunst willen» erhielt er gar noch im Jahr seiner Ankunft das Bürgerrecht der Stadt geschenkt. Später wurde er aufgrund seiner Leistungen in die Zunft zur Schmiden aufgenommen, ein Privileg, das man sich sonst teuer und mit guten Beziehungen erkaufen musste.

Arbeit war reichlich vorhanden. Luter fertigte mindestens 15 Turmuhren, darunter eine für die Kirche St. Peter. 1543 erschien er das letzte Mal in den Akten der Stadt Zürich, als die Uhr im Ketzerturm Aufrichte feierte. Sein Sohn Niklaus Luter erhielt im selben Jahr die Zunftzugehörigkeit – für 14 Pfund und 16 Schilling.

Während all dieser Zeit tickte Luters allererste Uhr im Kirchturm der Gemeinde Turbenthal. Heute gilt sie als eine der ältesten erhaltenen Kirchturmuhren der Schweiz und steht im Uhrenmuseum Beyer an der Bahnhofstrasse, wo sie als Dreh- und Angelpunkt den Übergang von den Elementaruhren zu den mechanischen Zeitmessern markiert. Da sie funktionstüchtig ist, kann das Museumspersonal an ihr das Prinzip erklären, das bis heute jeder mechanischen Uhr zugrunde liegt.

Eine der ältesten erhaltenen Uhren der Schweiz:
Die grosse Kirchenturmuhr von Hans Luter wurde um 1522 gebaut.

EINE NEUE ZEIT

Als Luter mit seinem Werkzeug nach Zürich zog, befand sich die Welt im Umbruch, denn es war im wahrsten Sinne des Wortes eine neue Zeit angebrochen. Mit dem Siegeszug der mechanischen Uhr trat auch eine neue Zeitrechnung in Kraft, die sich mit Glockenschlägen in der Stadt und zu Land vernehmbar machte. Sie bedeutete das Ende der Horen (je nach Jahreszeit unterschiedlich langen Tagesstunden) und auch das Ende des Monopols der Kirche über die Zeit.

Im Gegensatz zu Sonnenuhren und anderen damals üblichen Zeitmessern konnte die mechanische Uhr die Zeit auch nachts messen und kundtun. Davor hatte es zu den Aufgaben des Nachtwächters gehört, die Sanduhr regelmässig zu wenden und die vollen Stunden vom Turm herab mit Schlägen an die Glocke hörbar zu machen. Da öffentliche Uhren oft noch gar keinen Zeiger und kein Zifferblatt besassen, war ihr Schlagwerk umso wichtiger. Es nimmt bei unserer Turmuhr die Hälfte des Volumens ein und ist viel komplizierter als das Gehwerk, das nur einen einzigen Zeiger antreibt, da die Minute noch gar nicht erfunden war.

EINMAL TÄGLICH AUFZIEHEN

So sehr sich das Zahnradprinzip gehalten hat, so deutlich stammt die restliche Turmuhr aus einer anderen Zeit. Sie besteht aus einem schmiedeeisernen Rahmen, dessen Einzelteile, ähnlich wie bei Holzmöbeln, durch Keile verbunden sind (auch Schrauben gab es damals nicht). Sowohl das Gehwerk als auch das Schlagwerk werden durch Gewichte angetrieben, deren Seile um je eine Holztrommel gewickelt sind und einmal täglich aufgezogen werden müssen. Die Trommel des Gehwerks dreht sich einmal stündlich und treibt am einen Ende über eine Untersetzung den Stundenzeiger an, der alle zwölf Stunden eine Umdrehung vollzieht. Das andere Ende der Holztrommel überträgt seine Kraft über eine Übersetzung auf das mit Sägezähnen versehene Hemmungsrad, das sich 12,5-mal schneller dreht.

Da das Schlagwerk nur zur vollen Stunde zum Einsatz kommt, besteht seine einzige Verbindung zum Gehwerk aus einem Hebel, der von einer Nocke an der Holztrommel des Gehwerks einmal stündlich mechanisch angehoben wird. Dann kommt Leben in den Mechanismus, der so geduldig auf seinen Einsatz gewartet hat: Ein Windfang, der aussieht wie ein Propeller, rotiert, um den Gleichlauf sicherzustellen, während die Schlossscheibe die richtige Anzahl Schläge abzählt, bevor ein Abtaster in einen Schlitz kippt und den Mechanismus für eine weitere Stunde zum Stillstand bringt. Während der Auslösung drückt eine schnell rotierende Nocke einen Hebel und lässt ihn wiederholt sausen, solange die Schlossscheibe grünes Licht gibt. An seinem anderen Ende befindet sich der Klöppel, der früher die Glocke anschlug.

Im Uhrenmuseum Beyer fehlt die Glocke, um nicht bei jeder Vorführung das ganze Haus in Aufruhr zu versetzen.

Das Prinzip der Zahnräder funktioniert heute noch in jeder mechanischen Uhr. Und doch ist bei der Turmuhr manches anders.

WELTBERÜHMTE SAMMLUNG
Das Uhrenmuseum Beyer birgt eine der bedeutendsten Sammlungen der Welt. Es ist Montag bis Freitag von 14 bis 18 Uhr geöffnet.

Uhrenmuseum