1760: Der Beginn der Uhr-Zeit
Die Neuzeit der Uhrmacherkunst beginnt: In England konstruiert John Harrison die erste Uhr, einen Schiffschronometer, mit einer Gangabweichung von drei Sekunden pro Tag. Damit existiert ein zuverlässiges Instrument für die Bestimmung des Längengrades auf See und für die wissenschaftliche Erforschung der Welt.
Im Alltag der meisten Menschen be- stimmt nach wie vor das Tageslicht die Zeitabläufe, Taschenuhren sind für die meisten unerschwinglich. Holzräderuhren aus dem Schwarzwald, wie sie die Vorfahren der Familie Beyer verkaufen, sind die ersten Uhren, die in den Bürger- und Bauernstuben die Stunden schlagen.
In den europäischen Hauptstädten Paris und London gelangen Schweizer Uhrmacher zu grossem Ansehen, unter ihnen Abraham Louis Breguet sowie Pierre und Henri-Louis Jaquet-Droz. Ihre Uhren und Automaten werden in ganz Europa bewundert und vereinen in unerreichter Meisterschaft Schönheit und Funktionalität.
1810: Erste seriengefertigte Uhren
Allmählich gewinnen Uhren an Bedeutung. So rüstet man von etwa 1830 an auch die Segelschiffe der Handelsmarine mit Marinechronometern aus. Zuvor waren diese teuren Spezialuhren der Kriegsmarine vorbehalten. Noch existiert keine Standardzeit, wie sie heute unsere Armbanduhren anzeigen. Allein in der Schweiz gibt es mehrere Ortszeiten.
Die erste seriengefertigte Uhr ist bereits 1797 von Abraham-Louis Breguet in den Handel gebracht worden: die «Montre Souscription». Der Verkauf funktioniert nach dem Prinzip der Subskription, ein Viertel ihres Preises muss angezahlt werden. Die Uhr ist sehr erfolgreich, wird in über 700 Exemplaren gefertigt und zieht neue Käuferschichten an.
In Genf stellt Philippe Samuel Meylan, der Urgrossvater von René und Muriel Beyer‘s Urgrossmutter Marie Valentine Meylan, die feinsten Uhren seiner Zeit her. Sie werden bis in die Türkei und nach China verkauft.
1860: Die Definition von «Zeit»
Auf der ersten internationalen Weltaus- stellung in London 1851 werden die Er- zeugnisse der neuen Industrien vorgeführt, darunter Uhren von Patek Philippe & Cie. aus Genf, welche die Aufmerksamkeit von Königin Victoria auf sich ziehen und eine sehr praktische Neuerung einführen: eine Aufzugskrone statt des bis dahin üblichen Schlüssels. Auf der Weltausstellung in London 1862 präsentiert der Schweizer Uhrmacher Adolphe Nicole die erste als Chronograph taugliche Taschenuhr. Damit lassen sich Geschwindigkeiten messen und Bruchteile von Sekunden festhalten. Eisenbahn und wachsende Industrialisierung machen genaue Zeitangaben immer wichtiger. Die Schweiz produziert weltweit die meisten Uhren – mit ausgezeichnetem Ruf. Seit 1894 gelten die Standard-Zeitzonen der Internationalen Meridian-Konferenz. In der Schweiz gehen die Uhren ab sofort eine halbe Stunde vor der bis anhin üblichen Berner Zeit.
Um die Jahrhundertwende orientieren sich neu erstellte Bauten und Wohnungseinrichtungen oft an Stilen vergangener Epochen. Die Porzellanuhr von Beyer Zürich um 1880 im feinsten Rokoko-Stil, wie er im 18. Jahrhundert schon einmal Mode war, ist ein wundervolles Beispiel für diese Epoche des Historismus.
1910: Armbanduhren erobern die Welt
Armbanduhren, bislang exklusive Spielzeuge für Damen, erobern ihren festen Platz: Rolex erhält 1910 das erste Chronometerzertifikat für Armbanduhren.
In den «wilden Zwanzigerjahren» werden Uhren immer raffinierter und schöner: Die Pariser «Exposition des Arts décoratifs» zeigt 1925 geometrisch gestaltete Uhren im heute als «Art déco» bezeichneten Stil. Jaeger-LeCoultre ent- wickelt 1929 die immer noch kleinste mechanische Uhr der Welt, das berühmte Kaliber 101.
Das Automobil fasziniert in dieser Zeit wie nichts anderes: Entsprechend begeistert benützt man Chronographen mit Tachymeter-Skala, um immer höhere Geschwindigkeiten zu messen. Bereits 1916 erhält die Firma Heuer Patente für Taschenuhr-Chronographen mit Hundertstel-Sekunden.
In den 1930er Jahren setzen sich Armbanduhren auch dank bahnbrechender Erfindungen von Rolex durch: Die Firma entwickelt 1926 die erste wasserdichte Armbanduhr und lässt sie unter dem Namen «Oyster» patentieren. Die Beyer Chronometrie arbeitet eng mit Rolex zusammen und verkauft die ersten wasserdichten Uhren ab 1933. Auf dem Zifferblatt stehen beide Namen: Rolex und Beyer.
1960: Die verrückten Quarzuhren
Ein bisschen verrückt sind sie schon, die Sechziger- und frühen Siebzigerjahre: Man experimentiert mit allen Bestandteilen einer Uhr, und erfindet zum Beispiel die Bulova «Accutron», deren Regulierungsmechanismus aus einer Stimmgabel besteht. Beyer führt sie 1963 als erstes Geschäft in der Schweiz. Und schon bahnt sich die nächste technische Revolution an: 1967 präsentiert das Centre Electronique Horloger in Neuenburg mit «beta 21» den Prototyp der ersten batteriebetriebenen Quarzuhr, die sich zur Produktion von Armbanduhren eignet.
Auch die Zeitanzeige ist ein Experimen- tierfeld: Die ersten Uhren mit LED-Display kommen 1971 auf den Markt, sie kosten noch so viel wie ein Kleinwagen. Design wird immer wichtiger: Ein fas- zinierendes Stück ist zum Beispiel die flachste Quarzuhr der Welt, 1,98 mm hoch und mit einem hauchdünnen Goldplättchen als Zifferblatt. Sie wird von mehreren Uhrenfirmen gemeinsam entwickelt (Eterna, Longines, Concord).
Heute: Zwischen Trend und Kunst
Die erste «Swatch» des Unternehmers Nicolas G. Hayek kommt im Oktober 1982 auf den Markt. Sie bringt einen positiven Wendepunkt für die Uhrenindustrie in der Schweiz und lanciert einen völlig neuartigen Umgang mit Uhren, die nun fröhlich, poppig, bunt und günstig wie Mode- schmuck getragen werden. Und: Mechanische Uhren erleben ein Revival, vielleicht am eindrücklichsten mit der IWC «da Vinci». Die von 1985 an in kleinen Serien gebaute Uhr ist der erste Chronograph mit ewigem Kalender und ein würdiges Meisterwerk der Uhrmacherkunst.
Ob die Beliebtheit der mechanischen Uhren wohl damit zusammenhängt, dass diese minutiösen Kunstwerke mit ihrem Räderwerk heute wie vor 250 Jahren den Lauf der Welt symbolisieren?
Text: Monika Leonhardt