Derart leichtfüssig exquisit präsentiert sich London in keinem anderen Quartier: Mayfair inspiriert mit luxuriösen Shoppingarkaden, weltberühmten Massschneidereien, hochkarätigen Kunstgalerien und verschwiegenen Privatclubs. Es ist das Wirkungsfeld jener, die sich ein gutes Leben leisten können und es möglichst stilbewusst angehen wollen.
Nicht selten orientieren sie sich dabei an den Gedanken eines Mannes, der es sich zur Spezialität gemacht hat, Gesellschaftstrends mit der Geschichte abzugleichen, auch luftigen Themen ein Volumen abzutrotzen und sie als Mosaik der Zeit zu kommentieren: Nicholas Foulkes darf man getrost als Stilikone bezeichnen. Und das in London, wo eine gewisse Extravaganz zum guten Ton gehört. Zusammen mit der Ausstrahlung des Quartiers ist auch Foulkes' Name gewachsen, man hat sich gegenseitig hochgebracht. Anders ausgedrückt: Als Foulkes in den Neunzigern damit begann, über die Arbeit der Schneidereien an der Savile Row zu schreiben, war die Strasse zwar der Londoner Bourgeoisie ein Begriff, nicht aber der grossen weiten Welt, von der sie heute als Synonym für beste Schneiderkunst verehrt wird.
VON OXFORD AN DIE SAVILE ROW
«Damals bestanden die Schaufenster noch aus einem zugezogenen grauen Vorhang», erzählt Foulkes bei einem Espresso. «Diskretion wurde so interpretiert, dass man am liebsten das ganze Gebäude unsichtbar gemacht hätte.» Der Oxford-Absolvent gehörte zu den Ersten, die darüber schrieben, was hinter den Vorhängen passiert, was ein gutes Hemd können muss, wie ein perfekt sitzender Anzug funktioniert, was Schuhe ausmacht, die man nicht mehr ausziehen will. Und darüber, wo welcher Schneider warum in den Adelsstand gehoben werden müsste. «GQ», «Vanity Fair», «British Vogue»: Die führenden Magazine rissen sich um die ebenso kühn getexteten wie fachlich versierten Beiträge. Genauso virtuos und klug schrieb Foulkes über andere schöne Dinge des Lebens, allen voran Zigarren – und Uhren.
Letztere sind der Grund, warum Nick Foulkes an diesem Frühlingsvormittag mit René Beyer im Oswald’s sitzt, einem der exklusivsten Privatclubs Londons. Sie hatten sich als Jurymitglieder des Grand Prix d’Horlogerie de Genève kennengelernt und sofort gemocht. Beide gelten auf ihre Weise als wandelnde Lexika der Uhrengeschichte. Ausserdem hat Foulkes die einzige autorisierte Patek-Philippe-Biografie geschrieben, einen fast vier Kilo schweren Wälzer, der zur Pflichtlektüre für Uhrenliebhaber gehört. Nun nahm Beyer die Einladung von Foulkes für eine Tour d’Horizon an. «Ich liebe London – vor allem im Taxi», sagt er und lacht. «Warum ich mich auf eine Shoppingtour zu Fuss eingelassen habe, bleibt mir schleierhaft.»
Für Foulkes macht das Oswald’s eine kleine Ausnahme. Eigentlich herrscht hier striktes Fotoverbot, auch für die Mitglieder und ihre Gäste, die sich im kunstvoll-opulenten Dekor treffen, um Politik und Gesellschaft zu diskutieren (und mitzuprägen), gut zu essen und im Wein nach der Wahrheit zu fahnden. Aber eben: Foulkes ist Foulkes, für ihn gehen Türen auf, die anderen verschlossen bleiben. Und so darf der Fotograf (in einer kleinen Ecke vor einem riesigen Blumengesteck) exklusiv auf den Auslöser drücken und die Protagonisten der Tour ablichten, die wenig später bei stechendem Sonnenlicht und stürmischen Böen beginnt.-
MIT STOFFEN ZAUBERN
Sieben Stunden später fällt es allen etwas schwer, bei Kent & Haste wieder aus den bequemen, tiefen Sofas zu kommen. Nicht, dass der Shoppingmarathon den Beinen allzu arg zugesetzt hätte. Es sind vor allem die Eindrücke, die satt gemacht haben und ein bisschen träge vor Zufriedenheit. Wer hätte gedacht, dass man einen echten Modigliani zu Gesicht bekommt (Ordovas Art Gallery), mitten in einem Ladengeschäft genüsslich eine Cohiba pafft (bei Davidoff), ein Hemd von Emma Harris ersteht, wo schon King Charles (als Prince) eingekauft hat, und bei Budd Shirts auf John Butcher trifft, eine Ikone des West End: Seit 56 Jahren schneidert er Hemden nach Mass, er kennt alle körperlichen Eigenarten – und die Kniffe, sie mit Stoff vorteilhaft zu verhüllen.
Johns enges Reich liegt über dem Ladenlokal in der Burlington Arcade und ist über eine halsbrecherisch steile Treppe erreichbar. Mit seinen Schnittmustern, Stoffen, Massbändern und Fadenpaletten wirkt es wie aus der Zeit gefallen. Zu gern hätten wir auch hier fotografiert. Doch John wehrt ab: Ihm ist der Rummel um seine Person zuwider, und Bilder von sich mag er schon gar nicht. Da kann nicht mal Nick Foulkes etwas ausrichten, der den kernigen Schneider mit einem Satz beschreibt, der Person und Business treffend umschreibt: «Dieser Mann ist durch und durch echt – in einer Welt, die es nicht mehr ist.»
Foulkes macht kein Geheimnis daraus, wie sehr er mit schnelllebigem Firlefanz und Massenprodukten hadert. Er, die Verkörperung britischen Traditionsbewusstseins, ist in feinsten dreiteiligen Tweed gehüllt, trägt Krawatte und Einstecktuch und sehr viel Schmuck: Armreifen, Armbänder, an fast jedem Finger einen Ring, er hat sie in Antiquariaten und auf Auktionen erstanden. Dazu einen Zigarrenschneider aus den Sechzigern am Revers und am Handgelenk eine filigrane «Ellipse d’Or» von Patek Philippe. Selbst seine reich verzierte Pillendose entstammt einer anderen Zeit.
SELBST SEINE PILLENDOSE ENTSTAMMT EINER ANDEREN ZEIT.
«QUALITÄT ÜBERDAUERT DIE ZEIT»
Entsprechend ist er voller Respekt vor der langen Geschichte der Beyer Chronometrie, der Sammlung des Uhrenmuseums und dem Wissen der Vintage-Abteilung von Beyer. Er lässt seiner Hochachtung immer wieder freien Lauf. Was nicht heisst, dass er seinen virtuos gepflegten britischen Humor in Zügel legt. Einmal stellte er seinen Freund mit todernster Miene und den Worten vor: «Das ist René Beyer, eine Legende. Er führt das älteste Uhrengeschäft der Welt und hat schon Jesus eine Apple Watch verkauft.»
Der herzlich neckende, aber stets elegante Umgang miteinander ist Teil der Attitüde, die man im West End fast noch lustvoller zelebriert als sonst in der Stadt. Während Foulkes bei seinem Lieblingsschneider, Terry Haste, vor dem Spiegel steht und die letzten Korrekturen an einem Jackett vornehmen lässt, sagt er: «Wer sich handgemachte Qualität gönnt, investiert in die Zukunft. Denn Qualität überdauert die Zeit.» Terry Haste gibt ihm recht. Seit rund zehn Jahren verzeichnet seine Massschneiderei einen besonderen Boom: Vorwiegend junge Menschen bringen Anzüge ihrer Väter und Grossväter zum Renovieren. «Sie lassen sie sich auf den Leib anpassen und gehen mit einem hochwertigen Einzelstück wieder raus, das erst noch eine Geschichte besitzt», sagt Nick Foulkes. Das ist, was der Dandy unter Nachhaltigkeit und Stil versteht.
SO ENTSTEHEN LIEBLINGSSTÜCKE
Derweil sitzt René Beyer im kleinen Empfangssalon und rührt in seinem Tee. Er mag sich gerade nicht vom Sofa erheben, zu sehr geniesst er Stimmung und Geräusche, die aus dem Atelier dringen, das Rattern der Nähmaschinen, das Schnarren der Schneiderscheren, das Lachen der Menschen, die sich dem Schönen verschrieben haben und es von Hand fertigen, ohne Eile, dafür mit umso mehr Sinn für die Wirkung der Materialien und die Bedürfnisse der künftigen Träger. «Qualität ist das eine», sagt Beyer. «Das andere ist, sichtbar zu machen, was es alles dafür braucht. An solchen Orten entstehen Lieblingsstücke. » Wäre er nicht doch ein wenig erschöpft von Foulkes' Mayfair-Tour, er würde sich glatt vermessen lassen: «Das hole ich nächstes Mal nach.»
ZEIT FÜR DREI
Die Lieblingsuhren von Nicholas Foulkes:
1. Patek Philippe: «Ellipse d'Or»
2. Rolex: «Explorer Bicolor»
3. Cartier: «London Tank» aus den 1960ern.
NICHOLAS FOULKES ÜBER …
… Patek Philippe: Die Sterns sahen immer schon die Zukunft, zehn Jahre vor den anderen. Und sie sind mit einem brillanten Geschmack gesegnet.
… Kleidung: Kleider machen die Differenz, sie sind alles andere als trivial – da steckt eine Kultur dahinter. Zumindest in Grossbritannien: Es gehört zum Selbstverständnis jedes Intellektuellen, dass er über eine anständige Garderobe Bescheid weiss.
… seine Ringe: Ich trage sie stets in der gleichen Reihenfolge und brauche sie wie ein Taucher seine Gewichte, um in die Tiefe zu kommen.
… Beyer Uhren & Juwelen: Das Geschäft ist älter als seine Marken und besitzt nicht nur ein wunderbares Museum, sondern auch ein immenses Wissen über Vintage-Uhren, die man seit den Sechzigern pflegt, also lange vor allen anderen.
… seine Uhren-Leidenschaft: Mit etwa zehn Jahren begann ich, mechanische Uhren zu sammeln, britisches Gehäuse, Schweizer Werk, sie waren spottbillig. Irgendwann landeten sie in einem Sack im Gartenhaus. Dort fand sie dreissig Jahre später einer meiner Söhne. Die Hälfte der Uhren funktionierte noch. Das ist Nachhaltigkeit.
FOULKES’ MAYFAIRFAVORITEN
London-Kenner werden feststellen: Mayfair erfährt hier eine liebevolle kleine Erweiterung und führt ausnahmsweise bis nach St. James's.