Pre-Loved: Rares aus anderen Zeiten

Unsere Expertin Dörte Herold kommentiert seltene Uhren und Schmuckstücke und verrät im Interview, worauf es bei solchen Fundstücken ankommt.

Beyer kauft und verkauft auch Uhren aus zweiter Hand – und das seit 1965. War die Nachfrage schon jemals so gross wie heute?
Nein, wenn man sich früher eine Uhr leisten konnte, hatte man vielleicht eine Alltagsuhr und eine Sonntagsuhr; die wurden dann auch weitervererbt. In unseren Lagerbüchern aus den 1960ern sind es vor allem Grossund Taschenuhren, die wir gebraucht an- und verkauften. Der Markt für Pre-Loved-Armbanduhren explodiert erst seit etwa zehn Jahren. Dies dafür auf beeindruckende Weise.

Wie erklären Sie sich diesen Boom?
Es ist wohl ein Zusammenspiel von Wohlstand, breitem ästhetischem Bewusstsein und dem Hang der Designer, sich in einer Vergangenheit zu bedienen, die weit mutiger war als unsere Zeit. Ob Mode, Möbel oder Architektur: Alte Gestaltungselemente erleben, neu interpretiert, ein Revival. Auch viele Uhrenmarken setzen auf einst erfolgreiche Modelle und bringen sie leicht abgewandelt neu heraus. Offenbar scheinen aber viele Kundinnen und Kunden zu spüren: Das Original ist immer schöner als eine nachgemachte Uhr.

Was ist denn so anders?
Der Charme einer älteren Uhr lässt sich schwer erklären. Man muss ein solches Stück in der Hand halten, um sich ihre Ausstrahlung zu vergegenwärtigen. Das Zifferblatt hat vielleicht leichte Altersspuren, die Zeiger können gar angelaufen sein, auch das Gehäuse mag Tragspuren aufweisen. Doch all diese Details erzählen Geschichte und Geschichten.

Ist eine neue Uhr nicht sehr viel zuverlässiger?
Das muss nicht sein. Viele Manufakturen, die für aufwendig gestaltete Zeitmesser bekannt waren, produzieren nicht mehr in der Qualität, für die sie einst standen.

Rare Modelle von Patek Philippe und Rolex erzielen an Auktionen Rekordpreise. Wie sehr sind Pre-Loved-Uhren auch Spekulationsobjekte?
Sammlern geht es selten um ein Investment, sondern um den Zeitmesser selbst. Und wir versuchen, für die aussergewöhnlichsten Stücke Besitzer zu finden, die sie verdienen. Im Übrigen rate ich ganz grundsätzlich davon ab, eine Uhr in spekulativer Absicht zu kaufen, die Zeiten und Geschmäcke ändern sich viel zu schnell.

Was sucht ein «echter» Sammler?
Er widmet sich vor allem bestimmten Epochen oder Komplikationen, die ihn faszinieren. Viele sind zufrieden, wenn ihre Objekte werterhaltend sind. Wenn eine Uhr nach 25 Jahren mehr Wert hat, ist das für sie ein positiver Nebeneffekt.

Wie wird sich der Markt für getragene Uhren in den nächsten Jahren entwickeln?
Solche Prognosen sind schwierig. Es kann durchaus sein, dass die Vintage- Blase platzt. Doch gut erhaltene Raritäten namhafter Manufakturen werden immer einen stattlichen Preis erzielen. Nicht zuletzt, weil diese Marken für eine fachgerechte Revision bürgen, also dafür, dass die Uhren weiterhin einwandfrei laufen.

Pre-Loved-Uhren werden auch im Internet angeboten, oft sogar recht günstig. Sind solche Angebote seriös?
Es gibt sicher seriöse Angebote. Doch sie zu finden, ist wie ein Besuch auf dem Flohmarkt: Man braucht Zeit und das nötige Wissen, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Es geht ja nicht nur um den optischen Eindruck. Der Wert einer Uhr definiert sich immer auch über ihren inneren Zustand. Ein wichtiges Detail ist auch, wann der letzte Service gemacht wurde – und von wem.

Kann ich als Laie den Zustand einer Pre-Loved-Uhr überhaupt einschätzen?
Wenn man sich nur wenig mit älteren Uhren auseinandergesetzt hat, ist dies schwierig. Es gibt so viele Kleinigkeiten zu beachten, die man erst im Lauf der Zeit erkennt. Falsche Ersatzteile etwa können sich schnell sehr negativ auf ein Uhrwerk auswirken. Oder wenn jemand die Uhr von Dritten umbauen und etwa ein anderes Zifferblatt einsetzen liess: Da kann es sein, dass die Uhr von der Manufaktur nicht mehr angefasst wird, sie kann also nicht revidiert werden.

Beyer prüft die Herkunft der Uhren sehr sorgfältig, wie ist das möglich?
Uhren mit einem «Beyer»-Schriftzug können wir mit unseren Lagerbüchern identifizieren. Bei anderen Uhren fragen wir in den Archiven der jeweiligen Marken nach – oder schicken sie gleich dem entsprechenden Hersteller zur Revision – so wird auch die Echtheit bestätigt. Bei vielen Marken steht zwar geschrieben, dass die Revision noch nicht die Echtheit garantiert, aber die Manufakturen würden die Zeitmesser niemals anfassen, wenn dem nicht so wäre.

Das Pre-Loved-Angebot von Beyer umfasst neben Uhren auch Schmuck: Kann man die beiden Bereiche miteinander vergleichen?
Schmuckstücke sind schwieriger zu beurteilen. Der Urheber vor allem von Einzelstücken spielt eine grosse Rolle. Die Qualität von Edelsteinen muss individuell bestimmt werden. Sehr alter Schmuck wurde im Lauf der Zeit oft zu neuerem Schmuck weiterverarbeitet. Ausserdem steht die Mode viel stärker im Vordergrund als bei Uhren. Juwelen aus dem Jugendstil oder aus dem Art déco treffen den heutigen Geschmack eher als solche aus den 1960er- oder 1970er-Jahren. Bei Uhren aber sind gerade diese Jahre für viele Sammler interessant, da man vielleicht einen Zeitmesser aus seinem Geburtsjahr erwerben möchte.

Sie selber tragen vor allem Schmuck aus dem Art déco und aus den Fifties. Was fasziniert Sie an diesen Epochen?
Beiden Epochen gingen bedeutende Kriege voraus, Jahre voller Elend, Entbehrungen und unvorstellbare Nöte. Der Art déco spiegelt eine Zeit der Befreiung wider, auch in der Mode: Die einengenden Korsetts wurden abgeschafft und durch praktische Kleider ausgetauscht. Entsprechend facettenreich war auch der Schmuck: streng geometrisch, aber mit einem Formenreichtum, der noch heute fasziniert. In den 1950er-Jahren erholte man sich vom Zweiten Weltkrieg, man hatte wieder Geld und wollte den neu erworbenen Reichtum zeigen – mit grossem, scheinbar schwerem Goldschmuck. Wer es sich leisten konnte, liess sich aufwendig Farbsteine und Diamanten einarbeiten. Auch die Armbanduhren, also vor allem die Gehäuse, Bandanstösse und Zifferblätter aus dieser Zeit, sind sehr viel ausdrucksund fantasievoller als noch einige Jahrzehnte zuvor. Hinzu kommt, dass in den 1950er-Jahren die Produktion von Armbanduhren die der Taschenuhren quantitativ überholte und sich die Zeitmesser am Arm endgültig durchsetzten. Mehr als damals passierte im Uhren- und Schmuckbereich weder vorher noch nachher.

Beyer Chronometrie